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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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wie die Panik langsam von ihr Besitz ergriff.
    »Die Kraft des Schierlings liegt im Zeichen des Steinbocks«, sagte er.
    Sie fuhr sich mit der Zunge über die Unterlippe. Er roch ihre Angst, sauer und durchdringend.
    »Der zweiundzwanzigste Dezember«, sagte er.
    »Was war da?«
    »Das weißt du ganz genau.«
    »Ich weiß es nicht. Colin, ich weiß es nicht.«
    »Das ist der erste Tag im Steinbock. In dieser Nacht ist der Pfarrer gestorben.«
    »Das ist ja...«
    »Und noch was. In der Nacht war Vollmond. Es paßt also alles zusammen. Du hattest deine Gebrauchsanweisung für Mord in diesem Buch hier: Man muß die Wurzel ausgraben, wenn die Pflanze nicht im Wachstum ist; man muß wissen, daß ihre Kraft im Steinbock liegt; man muß wissen, daß ihr Gift tödlich ist; man muß wissen, daß das Gift seine größte Wirkung bei Vollmond entfaltet. Soll ich es dir alles vorlesen? Oder möchtest du es lieber selbst lesen? Du brauchst nur im Inhaltsverzeichnis unter S nachzuschauen. S wie Schierling.«
    »Nein! Das hat sie dir eingeblasen, nicht wahr? Mrs. Spence. Ich seh's dir am Gesicht an. Sie hat zu dir gesagt, geh doch mal zu dieser Polly, frag sie, was sie weiß, frag sie, wo sie gewesen ist. Und dann hat sie's dir überlassen, dir den Rest zusammenzuspinnen. So war es doch, stimmt's nicht? Stimmt's nicht, Colin?«
    »Untersteh dich, ihren Namen zu sagen.«
    »Ich sag ihn trotzdem. Und ich sag nicht nur ihren Namen, ich sag noch mehr.«
    Sie bückte sich und hob das Buch vom Boden auf. »Ja, es gehört mir. Ja, ich habe es gekauft. Ich hab's auch benützt. Und das weiß sie, weil ich einmal dumm genug war - vor mehr als zwei Jahren, als sie gerade nach Winslough gekommen war -, sie zu fragen, wie man eine Zaunrübentinktur macht. Ich war sogar so dumm, ihr zu sagen, warum ich das wissen wollte.«
    Sie hob das Buch und schüttelte es zornig. »Aus Liebe, Colin Shepherd. Zaunrübe ist für die Liebe. Und Apfel als Kettenanhänger auch. Hier, möchtest du's sehen?«
    Sie zog eine silberne Kette unter ihrem Pullover hervor. Eine kleine, filigrane Kugel hing daran. Sie riß den Anhänger herunter und warf ihn zu Boden, wo er gegen seinen Fuß schlug. Er konnte vertrocknete Stückchen der Frucht im Inneren sehen. »Und Aloe für Duftkissen, und Benzoe für Parfüm. Und Fingerkraut für einen Trank, den du niemals trinken würdest. Das steht auch alles in dem Buch. Aber du siehst ja nur, was du sehen willst, nicht wahr? So ist es jetzt. So war es immer. Sogar mit Annie.«
    »Mit dir rede ich nicht über Annie.«
    »Ach nein? Annie Annie Annie mit dem Heiligenschein. Ich red über sie, soviel ich will, weil ich weiß, wie es wirklich war. Ich war dabei, genau wie du. Und sie war keine Heilige. Sie war keine heldenhafte Patientin, die schweigend gelitten hat, während du an ihrem Bett gesessen hast und ihr kühle Kompressen auf die Stirn gelegt hast. So war's nicht.«
    Er machte einen Schritt auf sie zu. Sie wich nicht vor ihm zurück.
    »Sei nett zu dir, Col, hat Annie gesagt, sorg für dich, mein Allerliebster. Und als du's getan hast, hat sie's dich niemals vergessen lassen.«
    »Sie hat nie gesagt...«
    »Sie brauchte es nicht zu sagen. Warum willst du das nicht sehen? Sie lag in ihrem Bett, und es war stockdunkel. Sie sagte:
    Ich war zu schwach, um die Lampe anzumachen. Sie sagte: Ich dachte, ich würde heute sterben, Col, aber jetzt ist alles gut, weil du endlich zu Hause bist. Mach dir also nur keine Sorgen um mich. Sie sagte: Ich verstehe, daß du eine Frau brauchst, mein Liebster, tu du nur, was du tun mußt, und denk nicht an mich, wie ich hier in diesem Haus, in diesem Zimmer, in diesem Bett liege. Ohne dich.«
    »So war es nicht.«
    »Und wenn die Schmerzen schlimm waren, hat sie nicht dagelegen wie eine Märtyrerin. Erinnerst du dich nicht mehr? Sie hat geschrien. Sie hat dich verflucht. Sie hat die Ärzte verflucht. Sie hat Sachen an die Wand geschmissen. Und wenn es ganz schlimm war, dann hat sie gesagt: Das hast du mir angetan, du bist schuld daran, daß ich hier bei lebendigem Leib verfaule, und ich sterbe, und ich hasse dich, ich hasse dich, ich wollte, du müßtest an meiner Stelle sterben.«
    Er antwortete nichts. Er hatte das Gefühl, als kreischte eine Sirene in seinem Kopf. Polly stand vor ihm, nur Zentimeter entfernt, doch sie schien hinter blutroten Schleiern hervorzusprechen.
    »Und da hab ich oben auf dem Cotes Fell gebetet, ja. Zuerst hab ich darum gebetet, daß sie wieder gesund wird. Und dann. Und

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