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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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war es ihm gelungen, alle Gefühle auszuschalten.
    Wie ein Automat hatte er die gewohnten morgendlichen Verrichtungen erledigt: Kaffee gemacht, sich rasiert, den Hund gefüttert. Cornflakes in eine Schale gegeben, eine Banane aufgeschnitten, Zucker darüber gestreut, Milch dazugegossen. Er hatte sich sogar an den Tisch gesetzt. Er hatte sogar den Löffel eingetaucht. Er hatte ihn zum Mund geführt. Zweimal. Aber er konnte nicht essen.
    Er hatte ihre Hand gehalten, aber sie lag wie tot in der seinen. Er hatte ihren Namen gesagt. Er wußte nicht mehr, wie er sie nennen sollte - diese Juliet-Susanna, die sie angeblich war -, aber er hatte dennoch das Bedürfnis, sie beim Namen zu nennen, um zu versuchen, sie zu sich zurückzuholen.
    Aber sie war eigentlich gar nicht da. Nur ihre Hülle war da, der Körper, den er geliebt hatte, doch ihre Seele fuhr vorn mit, in dem anderen Range Rover, versuchte, die Ängste ihrer Tochter zu beruhigen, Abschied zu nehmen.
    Er griff fester nach ihrer Hand. Mit einer Stimme, der jedes Timbre fehlte, sagte sie: »Der Elefant.«
    Er versuchte zu begreifen, was sie wollte. Der Elefant. Warum? Warum hier? Warum jetzt? Was sagte sie ihm da? Was, glaubte sie, müßte er von Elefanten wissen? Daß sie niemals vergaßen? Daß auch sie - Juliet - niemals vergessen würde? Daß sie in ihrer tiefen Verzweiflung noch immer auf seine rettende Hand wartete? Der Elefant.
    Und dann hatte Lynley, als spreche er eine Sprache, die nur Juliet und er verstanden, geantwortet:
    »Ist er im Opel?«
    »Ich habe ihr gesagt, Punkin oder der Elefant«, sagte sie. »Du mußt dich entscheiden, Herzchen.«
    »Ich werde dafür sorgen, daß sie ihn bekommt, Mrs. Spence«, beruhigte Lynley sie.
    Und das war alles. Colin wollte sie zwingen, auf den Druck seiner Hand zu reagieren. Aber ihre Hand rührte sich nicht, ergriff die seine nicht. Sie ging einfach fort, an einen Ort, wo sie sterben konnte.
    Das begriff er jetzt. Er war selbst an diesem Ort. Zunächst schien ihm, der Weg dorthin habe begonnen, als Lynley ihm zum erstenmal die Fakten unterbreitet hatte. Zunächst schien ihm, er sei im Lauf der endlosen Nacht immer weiter dem Verfall entgegengegangen. Er beobachtete, wie Lynley mit ihr sprach, nicht als Polizeibeamter, sondern als wollte er sie beruhigen oder trösten; wie er ihr in den Wagen half; wie er ihr den Arm um die Schulter legte und wie er ihren Kopf an seine Brust drückte, als sie Maggie das letzte Mal schreien hörten. Merkwürdig, daß er nicht einmal darüber zu triumphieren schien, daß seine Vermutungen sich als zutreffend erwiesen hatten. Vielmehr sah er tieftraurig aus. Der Mann mit dem kranken Bein hatte etwas von den Mühlen der Gerechtigkeit gesagt, aber Lynley lachte nur bitter. Ich hasse das alles, sagte er, das Leben, das Sterben, dieses ganze grausame Durcheinander. Und Colin, der wie aus weiter Ferne zuhörte, stellte fest, daß er überhaupt keinen Haß empfand. Man kann nicht hassen, wenn man langsam stirbt.
    Später erkannte er, daß er den langen Weg in Wirklichkeit in jenem Moment begonnen hatte, als er seine Hand gegen Polly erhoben hatte. Als er jetzt am Fenster stand und sie vorübergehen sah, fragte er sich, ob er nicht schon seit Jahren starb.
    Hinter ihm tickte die Uhr in den Tag hinein. Ihre Augen bewegten sich im Takt mit dem Ticktack des Katzenschweifs. Wie sie gelacht hatte, als sie die gesehen hatte. Die ist ja köstlich, Col, hatte sie gesagt. Die muß ich haben. Unbedingt. Und er hatte sie ihr zum Geburtstag gekauft, in Zeitungspapier eingepackt, weil er das Geschenkpapier und das bunte Band vergessen hatte. Er hatte sie auf die Veranda gelegt und geläutet. Wie sie gelacht und in die Hände geklatscht hatte. Häng sie auf, hatte sie gerufen. Bitte, häng sie mir auf. Jetzt gleich.
    Er nahm die Uhr von der Wand über dem Herd und trug sie zur Arbeitsplatte. Er legte sie mit dem Zifferblatt nach unten. Der Schweif wedelte noch. Er spürte, daß sich auch die Augen noch bewegten. Er konnte immer noch das Vergehen der Zeit hören.
    Er versuchte, das Fach zu öffnen, in dem sich ihr Räderwerk befand, aber mit bloßen Fingern schaffte er es nicht. Er versuchte es dreimal, dann gab er auf und zog eine Schublade unter der Arbeitsplatte auf. Er nahm ein Messer heraus.
    Die Uhr tickte. Der Katzenschweif wedelte.
    Er schob das Messer zwischen die Rückwand und das Vorderteil und stemmte es hart nach oben. Dann noch einmal.
    Das Plastikmaterial gab mit einem Krachen nach, ein Teil

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