06 - Der Schattenkrieg
geraten konnten. Der Satellit konnte von der Antarktis bis übers Nordkap hinaussehen, und kein Sturm entging ihm. Fast direkt unter dem Späher führten noch nicht ganz erforschte Bedingungen zur Entstehung von Wirbeln über dem weiten, warmen Südatlantik vor Westafrika. Diese zogen dann zur Neuen Welt hinüber, wo sie unter dem westindischen Namen Hurrikan bekannt waren. Die Daten des Satelliten wurden an den Hurrikan-Center Coral Gables in Florida gefunkt und von Meteorologen mit Computern analysiert. Hundert Leute, die teils ihren Doktor schon vor Jahren gemacht hatten und teils nur für den Sommer von einer Universität hierhergekommen waren, untersuchten die Bilder des ersten Sturms der Saison. Manche hofften auf viele Stürme, um Gelegenheit zum Studieren zu bekommen. Die erfahrenen Wissenschaftler verstanden das, wußten aber auch, daß diese ozeanischen Stürme die gewaltigsten und zerstörerischsten Naturkräfte bargen und in Küstennähe regelmäßig Tausende von Menschen töteten. Was zu ihrer Entstehung führte, wußte niemand genau. Der Mensch konnte sie nur ausmachen, ihren Weg verfolgen und jene warnen, die sich auf ihrem Pfad befanden. Hurrikane bekamen von den Meteorologen Namen verpaßt, die in jedem Jahr mit den ersten Buchstaben des Alphabets begannen. Der erste Sturm dieses Jahres sollte, das stand schon fest, Adele heißen.
Unter dem Auge der Kamera quollen fünfhundert Meilen vor den Kapverdischen Inseln, der Wiege der Hurrikane, Wolken auf. Ob sich aus ihnen nun ein Hurrikan oder nur ein großer Regensturm entwickeln würde, konnte niemand sagen. Man stand noch am Anfang der Saison, doch alle Anzeichen deuteten darauf hin, daß es eine aktive werden würde. In der westafrikanischen Wüste war es für die Jahreszeit ungewöhnlich heiß, und zwischen Hitze und der Geburt von Hurrikanen bestand ein eindeutiger Zusammenhang.
Der Lkw-Fahrer erschien zur abgemachten Zeit, um die Männer und die Cocapaste abzuholen, fand aber niemanden vor. Nachdem er eine Stunde gewartet hatte, schickte er die zwei Männer, die mit ihm gekommen waren, zum Verarbeitungsplatz hinauf. Der Lkw-Fahrer war der »Leiter« der Gruppe und hatte keine Lust auf den beschwerlichen Aufstieg. Während er eine Zigarette rauchte, kraxelten seine Männer. Er wartete eine weitere Stunde. Auf der Landstraße herrschte viel Verkehr, besonders schwere Diesellaster, deren Einspritzpumpen und Auspuffanlagen nicht ganz so perfekt waren wie in reicheren Ländern und die deshalb lärmten und qualmten, aber auch weniger Treibstoff verbrauchten. Es donnerten zahlreiche Sattelschlepper vorbei und ließen den Boden erzittern. Deshalb überhörte er das Geräusch. Nachdem er insgesamt hundertzwanzig Minuten gewartet hatte, wurde ihm klar, daß er nun selbst nachsehen mußte. Er schloß den Lkw ab, steckte sich noch eine Zigarette an und begann, auf dem Pfad bergan zu marschieren.
Der Fahrer fand den Anstieg beschwerlich. Er war zwar in den Bergen aufgewachsen und konnte sich entsinnen, mit seinen Spielkameraden beim Fangspiel dreihundert Meter lässig überwunden zu haben, doch inzwischen saß er fast nur noch am Steuer, und seine Beinmuskulatur war eher ans Pedaltreten gewöhnt. Was er früher in vierzig Minuten geschafft hatte, dauerte nun eine Stunde, und als die Stelle endlich in Sicht kam, war er so gereizt und erschöpft, daß er die Hinweise übersah. Noch immer hörte er den Verkehr auf der Straße, hörte die Vögel in den Bäumen zwitschern, aber sonst nichts. Das erste Warnzeichen entdeckte er, als er anhielt, um wieder zu Atem zu kommen, und sich vorbeugte. Ein dunkler Fleck auf dem Weg. Etwas hatte die braune Erde schwarz verfärbt, aber das konnte alles Mögliche gewesen sein, und da er unbedingt herausfinden wollte, was oben nicht stimmte, eilte er weiter, ohne lange darüber nachzudenken. Mit der Polizei oder der Armee hatte es schon seit langem keine Probleme mehr gegeben. Warum müssen dann die Verarbeitungsplätze so hoch und abgelegen sein? fragte er sich. Das war doch nicht mehr erforderlich.
Fünf Minuten später kam die kleine Lichtung in Sicht, und erst jetzt fiel ihm die Stille dort auf und ein beißender Geruch. Muß die Säure sein, sagte er sich. Dann kam er um die letzte Wegbiegung und sah die Bescherung.
Der Lkw-Fahrer hatte an den Kämpfen, die letztendlich zur Bildung des Kartells führten, teilgenommen und war an Gewalt gewöhnt.
Aber nicht an so einen Anblick. Alle vierzehn Männer, die er am Vorabend gebracht
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