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06 - Ein echter Snob

06 - Ein echter Snob

Titel: 06 - Ein echter Snob Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Chesney
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groben Haare ihrer scharlachroten Perücke. Doch
bevor sie einschlief, prägte sich die Bedeutung dessen, was sie gelesen hatte,
in feurigen Buchstaben in ihr Hirn.
    »Zum Teufel!« schrie sie und sprang
hoch. »Letitia! Letitia!« Sie stolperte zur Treppe und schaffte vier Stufen.
Dann schwankte sie hilflos wie jemand, der über ein Seil balanciert, und fiel
wieder hinunter.
    Auf Händen und Füßen kriechend und
sich am Treppengeländer hochziehend, als ob sie einen Berg in den Alpen
besteigen müsste, gelang es ihr schließlich, in den zweiten Stock zu kommen.
Sie holte tief Atem. »Letitia!« rief sie.
    Lady Letitia kam aus ihrem Zimmer.
Sie sah schlaftrunken und erschrocken aus.
    »Pelham wird Jenny heiraten«, sagte
Mrs. Freemantle. Dann folgte ein gewaltiger Schluckauf.
    »Aber natürlich«, sagte Lady Letitia
besänftigend. Mrs. Freemantle, die auf allen vieren gewesen war, rutschte nach
vorne auf ihr Gesicht und schlief ein.
    »Ach du meine Güte«, sagte Lady
Letitia. »Ich verstehe nicht, wie Agnes solche Mengen Wein trinken und trotzdem
am Leben bleiben kann. Ich werde Kaffee kochen, bevor ich versuche, sie ins
Bett zu bringen.« Sie ging in ihr Zimmer zurück, um sich ihren Morgenmantel
überzuziehen. Dann lief sie nach unten, wo sie die Haustür weit geöffnet
vorfand, und sah einen Brief, der an sie gerichtet war, mit erbrochenem Siegel
in der Morgenbrise über die Fußbodenfliesen flattern.
    Lady Letitia nahm den Brief mit in
die Küche, fachte das Feuer an, hängte einen Wasserkessel an den Haken über dem
Feuer, lehnte sich an den Küchentisch und las den Brief.
    »Um Himmels willen«, entfuhr es ihr.
Sie rannte aus der Küche und wieder die Treppe hinauf, wobei sie, so laut sie
konnte, »Agnes!« rief...
    An diesem Morgen schimpften Mrs.
Freemantles Diener vor sich hin, als sie feststellten, dass alles Wasser im
Kessel verdampft und ein großes Loch in seinem Boden war.

Neuntes Kapitel

    Es waren zwei Wagenladungen, die
sich nach Highgate aufmachten, als die Vögel von den Dächern zu zwitschern
begannen und der Regen auf den Straßen trocknete.
    Merkwürdigerweise fand es der Herzog
überhaupt nicht seltsam, dass jemand — er wußte nicht wer — vorschlug, über
den Manchester Square zu fahren, wo Mr. Gendreau noch so lange wohnte, bis die
Angelegenheiten seines verstorbenen Herrn abgewickelt waren.
    Rainbird, der sich doch einige
Sorgen wegen Josephs üblen Andeutungen gemacht hatte, war erleichtert, als er
den besonnenen und sympathischen Mann kennenlernte. Joseph dagegen überhaupt
nicht. Seiner Livree sah man noch den Kampf mit Angus auf dem Küchenboden an,
und ein blauer Fleck auf seiner Stirn pochte zunehmend heftiger. Er fand die
anderen irgendwie untreu, als sie diesen französischen Kammerdiener so herzlich
und freundlich begrüßten, und Lizzies Benehmen war geradezu widerwärtig. Sie
hatten ihn alle im Stich gelassen, dachte Joseph, und vergaß dabei ganz, dass
er sowieso in Lord Charteris' Haushalt gehen wollte.
    Miss Jenny Sutherland saß neben dem
Herzog in der offenen Kutsche. Die anderen hatten sich in seinen Reisewagen,
der hinterherfuhr, gezwängt. Jenny hätte ihn so gerne angeschaut, um
festzustellen, ob er wütend auf sie war, aber sie wagte es nicht. Was er wohl
ihrer Tante geschrieben hatte? Hatte er um die Erlaubnis gebeten, ihr den Hof
machen zu dürfen, oder hatte er die Sache anders geregelt? Er hatte gesagt, dass
er sie nicht heiraten, nur küssen wolle. Aber es war doch bestimmt ihr gutes
Recht zu fragen, was er geschrieben hatte.
    Sie räusperte sich, weil sie so
aufgeregt war, dass sie nicht sicher war, ob ihre Stimme normal klingen oder ob
nur ein verschreckter Piepston herauskommen würde. Sie wußte nicht, ob sie ihn
liebte, aber eines wußte sie, nämlich, dass sie die Vorstellung nicht ertragen
konnte, dass er eine andere liebte. Sie dachte an Lady Bellisle, und der Mut
verließ sie.
    »Pelham«, begann sie schüchtern.
    »Ja, Miss Sutherland?«
    Das war ein schlechter Anfang. Wenn
er gesagt hätte: »Ja, meine Liebe« oder gar: »Ja, Jenny«, wäre das wesentlich
ermutigender gewesen.
    Sie schluckte und starrte, ohne
etwas zu sehen, auf das Kinderheim an der New Road und fand nicht den Mut,
noch etwas zu sagen, bis sie auf ihrer Fahrt nach Norden die Pancras Road auf
der anderen Seite der Islington Street entlangfuhren.
    »Was haben Sie meiner Tante
geschrieben?« fragte sie schließlich.
    »Ich habe ihr erklärt, dass ich Sie
auf eine Fahrt nach Highgate

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