06 - Ein echter Snob
Gewohnheit betrogen.«
»Er hat sich ganz bestimmt auf
andere Weise schadlos gehalten«, meinte der Herzog, »aber er hat nie
übertrieben. Das meiste Gold, das ich — wir — gefunden haben, hat er über Jahre
hinweg angesammelt, glaube ich. Er war klug genug, nicht zu habgierig zu sein.
Sie sind nicht die einzigen Diener, die er schlecht bezahlt hat, allerdings
erging es niemandem so miserabel wie Ihnen. Ich hatte eigentlich vor,
sämtliche Löhne einer Überprüfung zu unterziehen, wenn die Saison vorbei ist.
Ich werde Ihnen Geld für Ihr Gasthaus geben, um das, was Sie erlitten haben,
wiedergutzumachen. Noch etwas?«
Es gab noch etwas. Eine weitere
halbe Stunde verging, in der Rainbird seine Theaterleidenschaft erklärte und
Fergus bat, Alice heiraten zu dürfen.
»Das ist zu viel auf einmal«, sagte
der Herzog und fasste sich an den goldenen Lockenkopf. »Ja, Fergus. Ich werde
etwas in meiner Nähe für dich finden, denn ich will dich nicht verlieren.« Er
wandte sich an Angus MacGregor. »Es sieht also so aus, als ob Sie und Mrs.
Middleton das Gasthaus alleine führen werden. Glauben Sie, Sie werden es
schaffen? Ist das Gebäude in gutem Zustand?«
»Ich habe es noch nicht gesehen,
Euer Gnaden«, antwortete Angus. »Mr. Rainbird hat es für uns gekauft. Wir
hatten nicht vor, Sie vor dem Ende der Saison zu verlassen. Wir haben noch
keine Zeit gehabt, nach Highgate zu fahren.«
»Sie können jetzt fahren, wenn Sie
wollen«, sagte der Herzog. »Sie können sich alle als frei betrachten. Aber ich
würde vorschlagen, wir schlafen erst ein wenig.«
Doch das Wort »frei« ließ alle ihre
Träume — einmal abgesehen von Joseph — mit einem Schlag in Erfüllung gehen.
»Warum nicht gleich?« sagte Mrs.
Middleton verwegen. »Ich könnte sowieso nicht schlafen. Wir könnten jetzt
gleich fahren. Schaut, es wird schon hell.«
»Miss Sutherland«, sagte der Herzog
und schaute in ihr müdes Gesicht, »bitte gehen Sie jetzt. Sagen Sie Lady
Letitia, daß ich ihr einen Besuch abstatten werde.«
»Nehmen Sie mich mit«, bat Jenny
Mrs. Middleton. »Nehmen Sie mich zur Besichtigung dieses Gasthauses mit.«
Jenny fürchtete, dass ihre Zeit mit diesen Dienern zu Ende gehen könnte und
damit auch ihre Zeit mit dem Herzog von Pelham.
»Miss Sutherland, Lady Letitia wird
erschrecken, wenn sie Sie nicht im Bett vorfindet. Vielleicht sucht sie bereits
nach Ihnen.«
»Ich könnte ihr erzählen, dass ich
mit Ihnen eine Spazierfahrt unternommen habe, Pelham ...«, sagte Jenny.
»Um sechs Uhr morgens? Unsinn.«
»Oh, ich verstehe«, sagte Jenny
traurig. Ihr Gesicht überzog sich mit dunkler Röte, und sie starrte beschämt
auf ihre Hände.
Dem Herzog wurde blitzartig klar, dass
Jenny dachte, er habe sie nur aus einer Laune heraus geküsst und wolle die
ganze Sache jetzt vergessen. Das war aber ganz und gar nicht der Fall.
Er hätte sie so gerne noch einmal geküsst.
Er hätte sich so gerne davon überzeugt, dass er sie ganz für sich hatte, bevor
sie ein anderer Mann in London sah. Aber ein Herzog fährt nicht mit seinen
Dienern nach Highgate, um ein Gasthaus anzuschauen, nachdem er eine Nacht im
Gefängnis verbracht hat. Ein Herzog...
Jennys Lippen zitterten.
»Es ist irrsinnig«, sagte er, »aber
ich glaube, wir könnten Ihrer Tante einen Brief hinterlassen, in dem wir die
Situation erklären. Ja, wir fahren alle nach Highgate!«
Mrs. Freemantle, die nicht totzukriegen
war, kam wie üblich in den frühen Morgenstunden zu Hause an und stand leicht
schwankend auf den Eingangsstufen vor Nummer 71. Sie winkte einer Gruppe junger
Männer, die sie begleitet hatten, höchst angeheitert nach. Dann sperrte sie
die Haustür auf, stolperte über die Schwelle und fiel der Länge nach in die
Halle. Die Fußbodenfliesen waren angenehm kühl, und sie war gerade dabei, die
Augen zu schließen, um ein kurzes Nickerchen zu machen, als sie neben ihrem
Kopf einen Brief liegen sah. Sie hob ihn auf und rollte sich auf den Rücken,
erbrach das schwere Siegel und warf einen Blick darauf.
»Pelham«, murmelte sie. »Zu einem
Gasthaus in Highgate gefahren — mit Jenny ... macht später seine Aufwartung,
um die Erlaubnis einzuholen, Jenny den Hof machen zu dürfen... zum Teufel, der
Brief muss für Letitia sein.« Sie warf den Brief von sich und schloss die
Augen. Ihre Füße, die in Ledersandalen steckten, ragten über die Schwelle der
Haustür auf die Eingangstreppe hinaus; ihr Turban war ihr vom Kopf gefallen.
Eine leichte Brise bewegte die
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