06 - Weihnacht
Ausgang der Feindseligkeit mit den Upsarokas. Es hatte sich herausgestellt, daß die Blutindianer die Schuldigen waren; Peteh hatte das sogar grimmig eingestanden, ehe er an der von mir erhaltenen Wunde gestorben war. Die Mörder hatten sich alle mit im Lager am Pacific Creek befunden; sie waren, voran der alte, hinterlistige Innua Nehma, ausgeliefert und am Marterpfahle hingerichtet worden, und darüber hatten die Schoschonen mit den Upsarokas Frieden geschlossen. Yakonpi-Topa ließ uns oder auch nur Hiller allein auffordern, ihm die uns geliehenen Pferde zu bringen, so solle dieser die ihm abgenommenen Felle zurückerhalten.
Die Schoschonen hatten geglaubt, daß wir sofort mit ihnen aufbrechen würden, aber das war wegen Carpio unmöglich. Als sie hörten, daß ein Sterbender unter uns sei, ließen sie jedes laute Wort schweigen und zogen sich in scheuer Ehrfurcht, die dem Tod gebührt, zurück. Das Fleisch des erlegten Grizzly gab ihnen stille und doch interessante Beschäftigung genug. Es wurden mehrere Feuer angebrannt, und dann verbreitete sich der Bratenduft über das ganze Pa-ware. Als Carpio hörte, daß unsere Erlöser gekommen seien, sagte er:
„Der meinige wird nun auch erscheinen! Ich bin der einzige von euch, der hier im Tale bleibt. Kommst du vielleicht in deinem Leben nochmals her?“
„Es ist möglich. Selbst wenn ich nur nach einem Tagereisen von hier entfernten Punkte geführt würde, ich würde doch hierher reiten und dich besuchen, mein Carpio.“
„Tue das. Sobald du kommst, bin ich auch da, wenn du mich auch nicht siehst. Wenn es mir möglich ist, werde ich dir da ein Zeichen geben, ein freundliches Flüstern in den Blättern oder ein heiteres Kräuseln der warmen Wellen im See. Das soll mein Himmelsgruß für dich sein; dann kannst du wieder fortreiten und dir sagen, dein treuer Carpio habe dir für deinen Besuch gedankt!“
Der Abend war wieder sternenhell. Kein Lüftchen regte sich, und die dem Wasser entströmende Wärme erlaubte es uns, den Scheidenden heraus ins Freie zu tragen. Er wurde nahe beim Baume weich hingebettet. Die Weißen nahmen ringsum Platz, und in einem weiteren Kreise lagerten die Schoschonen, neugierig auf den Lichterbaum. Nur einer fehlte: der alte Lachner. Ich hatte ihm sagen lassen, daß sein Neffe im Sterben liege; er hatte sich umgedreht und nichts geantwortet. Nun schlich er in der Finsternis umher, allein mit seinem Geiz, der ihm alle Gefühle des Herzens getötet hatte. Er konnte es nicht verwinden, daß ihm das Gold des Finding-holes entgangen war. Carpio fragte auch mit keiner Silbe nach ihm.
Nun wurden die Nuggets herausgeholt und unter dem Weihnachtsbaume nach Winnetous Anordnung in vier gleichgroße Haufen zerlegt. Dann zündeten wir die Lichter an. Während dies geschah, sagte Carpio zu mir:
„Eigentlich müßte ich das Gedicht gleich anfangs sagen; aber es ist mir, als ob ich beim letzten Worte scheiden werde; darum will ich lieber bis zum Schlusse warten. Weißt du, wir haben vorgestern miteinander zum Herrgott gebetet, daß er mich diesen Weihnachtsglanz noch erleben lassen möge. Er hat unsere Bitte erfüllt; dann sterbe ich aber sogleich; das fühle ich. Tu mir noch den Gefallen, und singe mir das Lied ‚Stille Nacht, heilige Nacht‘! Es ist mein letztes Lied auf Erden; droben werde ich Halleluja singen!“
Als alle Lichter brannten, sangen wir das Lied, Hiller, Reiter, Rost und ich, in deutscher Sprache. Hierauf sprach ich einige ernste Worte; mehr konnte ich nicht, denn die Tränen raubten mir die Stimme, und dann bescherte Winnetou die Nuggets an Sannel, Reiter, Rost und Carpio.
Wie glücklich waren diese vier! Der alte Arnos Sannel konnte sich nun Ruhe gönnen; Reiter versicherte, daß er die Hälfte des Betrages seinem Vater, meinem alten Kantor, schicken werde; Rost konnte infolge dieses Geschenkes daran denken, nach seiner Rückkehr von den Indsmen sich eine Praxis zu gründen, und Carpio schob seine kraftlose Hand in Winnetous Rechte, bedankte sich innig bei ihm und sagte dann zu mir:
„Was soll ein Sterbender mit Gold? Aber ich freue mich doch unendlich darüber, denn ich weiß, weshalb Ihr es mir gegeben habt. Du tust mir doch den Gefallen, lieber Sappho, und nimmst es meinem Vater mit hinüber! Es macht mich so glücklich, zu denken, daß er sich wenigstens nun dies eine mal über seinen Sohn freuen wird. Sag ihm aber ja, dies sei keine Zerstreutheit oder Verwechslung, sondern es gehöre ihm wirklich alles!“ –
Welley
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