Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
06 - Weihnacht

06 - Weihnacht

Titel: 06 - Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
Gefängnisbeamten bekommen.“
    „Stand der Name des Dichters dabei, als Sie es abschrieben?“
    „Ja, ich habe ihn aber nicht notiert, um den armen Teufel, der so selig in das Jenseits gegangen ist, nicht im Diesseits noch zu blamieren.“
    Ich hatte meine Fragen einander immer schneller folgen lassen und sie in einem immer steigenden Tone ausgesprochen. Er beachtete das gar nicht und war jetzt sogar so unverfroren, mich aufzufordern:
    „Sie haben die Macht der wahren Reue erkannt, lieber Herr, und werden nach dieser Erkenntnis zu handeln wissen. Hier nehmen Sie nun auch die andern Schriften! Ich werde Ihnen nur zwei Dollar und fünfzig Cents dafür berechnen.“
    Jetzt war es mit meiner Zurückhaltung zu Ende. Ich prasselte ihn förmlich an:
    „Schwindler, der Sie sind! Sie sagten vorhin, ich hätte in meinen Busen gegriffen; ich aber sage Ihnen, daß ich Ihretwegen weder in meinen Busen noch in meinen Beutel greife! Sie wären der Kerl dazu, meine arme Seele vom ewigen Tode zu erretten! Bekümmern Sie sich um Ihre eigene Seele, die Ihnen wohl noch genug zu schaffen machen wird! Der Dichter dieser Strophen soll ein Pferdedieb gewesen sein, der an seinem Stricke selig in das Jenseits hinübergeschieden ist, weil Sie, Sie unverschämter Lügner, ihn durch Ihre Schriften von der ewigen Verdammnis errettet haben? Sie wagen, mir zu sagen, daß ein Irländer ein solches Gedicht in deutscher Sprache schreiben kann? Sie wagen es, auch mir die in Ihren Druckwerken enthaltene Seligkeit für zwei und einen halben Dollar anzubieten? Hier haben Sie den Rummel. Lesen Sie ihn selbst, denn Sie bedürfen der Reue und Buße mehr als selbst der allerschlimmste Pferdedieb!“
    Bei diesen Worten warf ich ihm die Schriften ins Gesicht. Er stand vor Erstaunen und Zorn eine ganze Minute bewegungslos, dann trat er hart an mich heran, hielt mir die geballten Fäuste vor das Gesicht und rief:
    „Was haben Sie getan?! Und wie haben Sie mich genannt?! Einen Schwindler und einen unverschämten Lügner! Ich soll schlimmer sein als ein Pferdedieb! Sagen Sie nur noch ein solches Wort, so haue ich Sie zu Staub!“
    Er tat, als ob er ausholen wolle.
    „Nieder mit den Händen!“ befahl ich ihm. „Weil Sie auch einer sind, schäme ich mich in meinem Leben zum erstenmal, ein Deutscher zu sein! Der Dichter dieser Strophen soll gehängt worden sein! Wissen Sie, wer es ist? Er steht hier vor Ihnen, und Sie werden mir den Vorrat, den Sie haben, ausliefern, damit ich ihn verbrennen lasse!“
    „Sie – Sie – – Sie wollen der Dichter sein?“ lachte er höhnisch auf. „Ihr Gesicht ist ja ein solches Schafs – – –“
    Weiter kam er in seiner Rede nicht, denn ich gab ihm eine solche Ohrfeige, daß er, zwei Stühle mit sich niederreißend, zu Boden stürzte. Er sprang aber schnell wieder auf, riß ein langes Messer aus der Tasche und drang damit, vor Wut keine Worte findend, auf mich ein. Ich empfing ihn mit dem emporgehobenen Fuß und versetzte ihm einen so kräftigen Tritt gegen den Leib, daß er wieder niederstürzte. Noch hatte er sich nicht halb aufgerafft, so stand ich bei ihm, nahm ihn mit der linken Hand beim Genick, riß ihn vollends empor, schlug ihm mit der Rechten das Messer aus der Hand, gab ihm noch zwei schallende Ohrfeigen, schleifte ihn zu seinem Koffer und befahl ihm dort:
    „Heraus mit den Gedichten, die verbrannt werden müssen! Wenn du nicht sofort gehorchst, helfe ich nach!“
    Der fromme Mann hatte mehr als genug. Er schien sich zwar weigern zu wollen, aber ein vermehrter Druck an seinem Halse brachte ihn zum Gehorsam. Er warf die Exemplare des Gedichtes aus dem Koffer auf den Tisch und grinste dabei drohend:
    „Mir kann es recht sein, denn wenn sie gegen meinen Willen verbrannt werden, muß ich sie bezahlt bekommen; es gibt noch Gerechtigkeit in der Welt, also hier im Westen auch!“
    „Jawohl hier im Westen auch! Das habe ich dir schon gezeigt und bin bereit, es dir auch noch weiter zu beweisen. So, da bist du fertig, und ich bin es einstweilen mit dir auch. Nimm dich in acht, daß wir nicht noch einmal in dieser Weise zusammentreffen. Man kommt nicht immer so gut aus meinen Händen, wie ich dich jetzt aus ihnen entkommen lasse. Merk dir das, frommer Augenverdreher!“
    Ich gab ihn frei und nahm die Schriften, um sie selbst in die Küche zu tragen, wo ich mich überzeugte, daß sie alle in den Ofen gesteckt und verbrannt wurden. Als ich dann in das Zimmer zurückkehrte, war der Prayer-man nicht mehr

Weitere Kostenlose Bücher