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06 - Weihnacht

06 - Weihnacht

Titel: 06 - Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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holte also dieses Gedicht, um ihn zu überführen. Es gefiel ihm sehr, und als er mich bat, es abschreiben zu dürfen, ersah ich keinen Grund, ihm die Erlaubnis zu verweigern. Ich ahnte freilich nicht, daß er es drucken lassen werde. Er hat doch wohl auch gar kein Recht dazu?“
    „Wenigstens kein moralisches. Aber in rein literarischer und geschäftlicher Beziehung sind die Werke deutscher Dichter und Schriftsteller hier in den Vereinigten Staaten leider vogelfrei, und der Amerikaner macht davon den ausgiebigsten Gebrauch. Es werden hier deutsche Werke massenhaft nachgedruckt, und die hiesigen Herausgeber – fast hätte ich gesagt Diebe – werden dabei reiche Leute, ohne den Verfassern, welche drüben am Hungertuche nagen, einen Cent zu bezahlen. Der sonst ‚sehr moralische‘ Amerikaner will Geld machen; ob er dabei einen armen Schriftsteller seines sauer verdienten Arbeitslohnes beraubt, das ist ihm vollständig gleichgültig, wenn ihm diese meiner Ansicht nach freilich sehr unmoralische Money-mäkerei nur gelingt. Mir hat zum Beispiel die sehr löbliche ‚San Francisco-Abendpost‘ meine Werke nachgedruckt, ohne es nur der Mühe wert zu halten, mich wenigstens davon zu benachrichtigen oder mich dann auf meine wiederholten Anfragen auch nur einer einzigen Antwort zu würdigen. Und das ist eine Zeitung in deutscher Sprache! Es scheint da, man hat gar keine Veranlassung, darauf stolz zu sein, daß man ein Deutscher ist. – – Und selbst wenn wir Deutschen allen möglichen Schutz besäßen, würde ich mich gar nicht darüber wundern, daß dieser salbungsvolle Traktätchenhändler das Gedicht ohne alles Besinnen und Bedenken als sein Eigentum betrachtet hätte, denn wo die Frömmigkeit nur gleisnerische Außensache ist, pflegt sie nur als Deckmantel der Habsucht und noch schlimmerer Eigenschaften zu dienen.“
    „Hätte ich ihm doch die Erlaubnis, es abzuschreiben, nicht gegeben! Was ist denn das für eine entsetzliche Überschrift? Der Mann kann nicht bei Sinnen sein!“
    „Er erzählte mir sogar, daß der Dichter ein Pferdedieb gewesen sei, der kurz bevor er für seine Taten aufgehängt wurde, aus Reue das Gedicht verfaßt habe. Doch, lassen wir das! Es genügt für jetzt, daß diese Strophen die Veranlassung meines Besuches bei Ihnen sind. Ich glaubte, annehmen zu müssen, daß jemand, der sich für – – –“
    „Ah, bitte!“ unterbrach sie mich. „Wir waren ganz davon abgekommen. Die Hauptsache ist doch – – – sagen Sie, Sie sind der Verfasser dieses Gedichtes?“
    „Ja.“
    Ihre Augen öffneten sich weit, als ob sie meine ganze Gestalt mit einemmal umfassen wollten; sie hob die Arme gegen mich und fragte schnell weiter:
    „Dann sind Sie also der junge Schüler, welchen – – –?“
    „Der bin ich“, nickte ich.
    „Welchen wir damals mit noch einem andern in – in – in Falkenau in Böhmen sahen?“
    „Ja.“
    „Sie kamen uns dann in die Mühle nach, wo mein guter, alter, lieber Vater starb?“
    „Ja.“
    „Und gaben uns – – – gaben uns – – –. Oh, ich war damals vor Herzeleid nicht bei mir selbst, sonst hätte ich – – hätte ich – – – erlauben Sie! Ich muß ihn rufen, sofort rufen! Das ist einer meiner schönsten Lebenstage! Sie haben uns durch Ihr so ganz und gar nicht zu erwartendes Kommen eine Freude bereitet, die ganz unbeschreiblich ist, denn Sie wissen nicht, nein, Sie können gar keine Ahnung haben, wie oft wir an Sie, an den jungen Mann gedacht haben, der uns damals eine Wohltat erwies, die wir ihm niemals, niemals vergelten können!“
    Sie wollte eine Nebentür öffnen; ich hielt sie zurück und sagte:
    „Bitte, wenn Sie nicht wünschen, daß ich sofort wieder gehe, so erwähnen Sie ja nicht wieder, daß mein Mitgefühl mich damals zu einer Handlung hinriß, welche – – –“
    „Was? Welche – – –?“ unterbrach sie mich, indem sie sich mir rasch wieder zuwendete. „Welche Sie wohl lieber nicht getan hätten? Das ist nicht wahr! Wenn Sie das sagen wollen, so kennen Sie sich selbst nicht! Ich weiß, daß Sie selbst ein armer, armer Teufel waren und das, was Sie im Gasthause genossen, nicht bezahlen konnten. Wer trotz dieser seiner Armut und ohne sich zu besinnen all sein Geld einem noch Bedürftigeren gibt, der bereut das nie, der wird stets mildtätig bleiben, denn sein offenes Herz ist eine herrliche Gottesgabe, um welche ihn selbst die größten Härten des Lebens nicht zu bringen vermögen. Und,

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