0605 - Das Gespenst vom Tower
Schädel zitternd von rechts nach links bewegte, bevor er einen urigen Schrei ausstieß.
Dann startete er.
Für Anne stand fest, daß er ihr den Schädel einschlagen wollte, denn seinen Enterhaken hatte er bereits schlagbereit erhoben.
Anne Baker warf sich herum. Jetzt gab es nur die eine Chance, und sie gratulierte sich dazu, vor Jahren einmal in einem Schwimmverein Mitglied gewesen zu sein.
Hinter ihr klatschten die nackten Füße des Verfolgers auf die Decksplanken und hinterließen dumpfe Geräusche, die wie ein Trommelklang immer näher kamen.
Anne sah die Reling vor sich. Sie kam ihr plötzlich unheimlich hoch vor, und sie hatte Angst, dagegen zu prallen.
Dann stieß sie sich ab.
Mit dem rechten Knie stieß sie noch gegen die Reling und hörte einen harten, metallischen Klang.
Der Halbnackte hatte zugedroschen, sie allerdings verfehlt und das Metall getroffen.
Dann schlug das schmutzige Themsewasser über Anne Baker zusammen…
***
Manche Menschen halten uns Briten für leicht verrückt – oder, wenn sie es vornehmer ausdrücken wollen, für etwas verschroben und in den Traditionen festhängend.
Ich will das wertfrei hinnehmen und auch keine Gegenargumente bringen, denn es gibt tatsächlich Dinge, die sind schon ein wenig kurios.
Wie zum Beispiel die sechs Raben, die zum Tower gehören. Dies natürlich auch traditionell. Es heißt, daß der Tower einstürzt, wenn ihn die Raben verlassen. Deshalb stutzt man ihnen vorsichtshalber die Flügel. Die Raben haben sogar einen eigenen Rabenmeister, der für sie sorgt, und sie bekommen von der Krone wöchentlich eine Portion Pferdefleisch zugeteilt.
Warum ich Ihnen das berichte?
Ganz einfach, mein Freund Suko und ich hatten in der Nähe des Towers zu tun, und zwar auf der Tower Bridge.
Just for fun war es nicht, daß wir die Zeit vor Mitternacht auf der zugigen Brücke totschlugen, deren blauer Anstrich zwischen den Türmen im Licht der Scheinwerfer leuchtete. Schließlich sollte auch in der Dunkelheit eines der Wahrzeichen Londons zu sehen sein.
Den Dienstrover hatte ich auf dem zum Tower gehörigen Parkplatz abgestellt, und wir machten uns zu Fuß auf den Weg. Nach der langen Hitzeperiode war es kühler geworden. Die hohe Luftfeuchtigkeit hatte sich über dem Fluß schon zu Nebelschleiern verdichtet. Zu Fuß die Brücke zu überqueren, war auch nicht jedermanns Sache, aber wir brauchten auch nicht die ganze Strecke zu gehen, denn die Person, auf die es uns ankam, saß auf einem Brückenfundament, das gut einen Meter breiter war als die Brücke.
Die Person war ein Trommler!
Wie gesagt, es gibt viele kuriose Dinge in London, aber ein halbnackter Trommler, dazu einer aus der Karibik, das war einigen Personen doch komisch vorgekommen.
Die Polizei hatte eingegriffen und den Trommler verhört. Bei diesem Verhör hatte er von einer furchtbaren Gefahr gesprochen, die sich noch in London verborgen hielt.
Natürlich hatten ihm die Kollegen keinen Glauben geschenkt, ihn wieder laufenlassen müssen, denn es war ja nicht verboten, auf einer Trommel herumzuhämmern.
Nach einer Beschwerde war er noch einmal mit aufs Revier genommen und verhört worden. Da war er etwas konkreter geworden und hatte von einer gewissen Voodoo-Magie gesprochen.
»Voodoo, was ist das denn?« hatte der Einsatzleiter gefragt und den Mund verzogen.
»Etwas unheimlich Tödliches. Da werden die Toten aus den Gräbern geholt und stürmen die Stadt.«
»Aber nicht hier.«
»Doch!« hatte der Trommler behauptet.
Er ließ sich nicht abbringen. Einem jungen Kollegen war eingefallen, daß es beim Yard Leute gab, die sich mit derartigen Phänomenen beschäftigten. Und so waren Suko und ich an den Fall geraten.
Nun befanden wir uns auf dem Weg zur Brücke. Wir hielten uns eng am Geländer, kamen vom Tower her und blieben auf der linken Seite, denn dort sollte der Trommler hocken.
Zu hören war noch nichts, weil doch zahlreiche Autos über die Brücke huschten und ihre Fahrgeräusche alle anderen Laute zunächst mal übertönten.
Querstreben hielten das Metallgehänge der Brücke. Wir bekamen den Eindruck, als würde das Eisen singen, wenn wir allzu dicht an ihm vorbeischritten.
Suko vernahm das Geräusch zuerst. Er blieb stehen und schüttelte den Kopf. »Der trommelt tatsächlich, John.«
»Auch auf dem Stützpfeiler?«
»Ja.«
Ich trat bis dicht an den Rand. Das Wasser floß in einer breiten Monotonie unter uns hinweg. Man konnte von den Pfeilern aus in die Türme hineingehen. Dort
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