0609 - Tiefsee-Mystik
Stein.
Kate und ich schauten ihm nach. Ich sah, daß Kate eine Gänsehaut bekommen hatte und sich schüttelte. »Wenn das nur gutgeht«, sagte sie leise. »Ich… weiß es nicht.«
»Wovor hast du genau Furcht?«
»Nicht vor irgendwelchen Seemonstern, daran glaube ich nicht. Es ist die Natur, John. Die Kraft des Wassers, die Strudel, die zahlreichen Wirbel, die stärker als die menschliche Kraft sind. Wenn du dort einmal festhängst, kannst du dich aus eigener Kraft kaum befreien. Das mußt du mir glauben.«
»Kann sein.«
Sie schaute mich fast bewundernd an. »Woher nehmt ihr beide eigentlich euren Optimismus?«
»Das kann ich dir sagen, Kate. Wer so lange im Geschäft ist wie wir, wer so viel erlebt hat, dem bleibt einfach nichts anderes übrig, als Optimist zu sein.«
Sie lächelte schmal. »So habe ich das noch gar nicht betrachtet.«
»Es stimmt aber.«
»Möglich.« Sie starrte wieder auf das Wasser. Von Suko war längst nichts mehr zu sehen.
Ich hatte mich gedreht und dachte an unseren Koffer, den wir mit an Bord genommen hatten. Wir waren gut ausgerüstet, denn in ihm befand sich ein Gegenstand, von dem Kate Tanner bisher nichts wußte, mit dem sie wohl auch nichts hätte anfangen können.
Es war der Dunkle Gral!
Ich hatte ihn bewußt mitgenommen, um zu beweisen, daß mir der Schatz auch zustand. Ich war nicht nur Träger des Kreuzes, auch Besitzer des Dunklen Grals. Dieses mystische Relikt konnte eine Verbindung zwischen den Zeiten und den Welten herstellen. Der Dunkle Gral und die Templer standen in einem engen Zusammenhang. Möglicherweise würde es dazu kommen, daß ich ihn einsetzen mußte, um mich zu beweisen.
Meine Gedanken kreisten um den Schatz der Templer. Ich konnte mir vorstellen, daß diejenigen Personen, die ihn in der Tiefe versenkt hatten, ihm dem Meer nicht ohne Sicherung überlassen wollten. Da war irgend etwas, da mußte etwas sein, und ich ging einmal davon aus.
»So nachdenklich, John?«
»Sicher. Ich denke über den Schatz nach.«
»Ist es schlimm, wenn du ihn nicht findest?«
»Nein, überhaupt nicht.«
Sie schaute mich an und nickte. »Ich spüre, daß deine Antwort ehrlich gemeint ist. Anderen Menschen hätte ich sie so nicht abgenommen. Ihr gehört zu den Menschen, die tatsächlich eine Aufgabe zu erledigen haben, die nie endet.«
»Danke, Kate. So pathetisch habe ich das zwar nicht gesehen, aber irgendwo hast du schon recht.«
»Meine ich doch.«
Ich schaute wieder auf das Wasser.
Es bewegte sich geheimnisvoll und kreisend vor mir. Auf der Oberfläche tanzten schaumige Wellen, die ständig zu neuen Kreisen gedreht wurden, bevor sie zerflossen. Aus der Tiefe bekamen sie Nachschub, dann drehten sie sich der Oberfläche entgegen, schmatzten, glucksen und klatschten nahe der Bordwand. Sie kamen mir vor wie Hände, die immer wieder gegen das vom Anker gut gehaltene Schiff hieben.
»Wenn die Templer tatsächlich so gute Baumeister waren, wie du gesagt hast, John, dann könnte es doch sein, daß sie hier in der Tiefe eine Unterwasserstadt angelegt haben. Oder nicht?«
»Ja, das ist möglich.«
»Wie im Märchen.«
Ich antwortete mit einer Floskel. »Manchmal werden Märchen auch wahr, Kate.«
»Man muß nur daran glauben, wie die Kinder.«
»Eben.«
Während unseres Gesprächs war mir eine Idee gekommen. In gewisser Hinsicht eine Eingebung, der ich allerdings folgte, denn ich holte plötzlich mein Kreuz hervor.
Kate Tanner stand neben mir und beobachtete mich staunend. Ihre Augen weiteten sich noch mehr, als sie das Kreuz aus der Nähe erkannte. Durch den offenen Mund atmete sie ein. »Himmel, was ist das?«
»Ein Kreuz.«
»Das sehe ich. Aber die Zeichen.«
»Nun ja, sie sind bewußt eingraviert worden. Sie alle haben ihren Sinn, Kate.«
Fast ehrfurchtsvoll besah sich Kate meinen Talisman. »Ich weiß nicht, aber könnte es sein, daß dieses Kreuz sehr alt ist?«
»Uralt.«
»Wann entstanden?«
»Es klingt unglaublich, was ich dir jetzt sage, aber der Prophet Hesekiel hat es während der babylonischen Gefangenschaft seines Volkes hergestellt.«
Diesmal hatte ich Kate Tanner dermaßen überrascht, daß sie kein Wort hervorbrachte.
»Es stimmt.«
»Nein, John. Als Hesekiel lebte, war das doch vor unserer Zeitrechnung. Wie konnte er wissen, daß das Kreuz einmal…«
»Vergiß nicht, daß es sich bei ihm um einen Propheten gehandelt hat, Kate.«
»Und daran glaubst du?« Sie war noch immer nicht überzeugt.
»Natürlich. Ich habe sogar Beweise
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