0609 - Tiefsee-Mystik
Tanner verließ die Brücke und kam wieder zu mir. Trotz der schlimmen Ereignisse hatte sie gut geschlafen, im Gegensatz zu mir.
Ich war oft aufgeschreckt, schon allein aus dem Grunde, weil ich mit einer Verfolgung durch die Gangster rechnete.
Als Kate meinen fragenden Blick sah, lächelte sie. »Wir befinden uns auf dem richtigen Kurs.«
»Gut.«
Ihr Lächeln blieb. »Du siehst müde aus, John. Wer weiß, was auf uns zukommt. Willst du nicht etwas schlafen? Ich wecke dich schon, wenn wir das Ziel erreicht haben.«
»Die Idee ist gut.« Ich war tatsächlich etwas kaputt und brauchte etwas Ruhe.
Am Heck befand sich eine weißgestrichene Bank. Sie bot Plätze für mehrere Personen, so konnte ich mich nicht nur hinsetzen, sondern mich auch ausstrecken.
Die harte Unterlage machte mir nichts aus. Ich hatte mich zudem an das Brummen der beiden Motoren gewöhnt und auch an die Geräusche des Meeres. Begleitet wurden wir von kleinen Vögelschwärmen, die darauf aus waren, Nahrung zu bekommen.
Da ich in den Himmel schaute, konnte ich sie sehen, wie sie ihre Bahnen zogen und auch als Gruppe zusammenblieben.
Wie von selbst fielen mir die Augen zu. Ich sank tatsächlich in einen bleiernen Schlaf und wurde erst wach, als ich Kates Hand an meiner linken Schulter spürte, die mich rüttelte.
»Aufstehen, du müder Held!« lachte sie.
Verwirrt öffnete ich die Augen. Wäre Kate nicht schnell gewesen und hätte mich festgehalten, wäre ich noch von der Bank auf die Bohlen des Bootes gerutscht.
»Was ist denn?«
»Wir sind fast da.«
»Wo?«
»Am Ziel, bei den Felsen, genau dort, wo du den Schatz und sein Versteck vermutest.«
Erst jetzt richtete ich mich auf, preßte die Hände gegen die Stirn und dachte über die Worte nach. Nur langsam kam ich auf Touren.
Zwar fühlte ich mich noch immer etwas matt, aber der Zustand änderte sich, denn dieser tiefe Schlaf verfehlte seine Wirkung nicht. Er hatte mich erfrischt und mich wieder auf die Beine gebracht.
Kate stand vor mir. Sie deutete über die Steuerbord-Reling hinweg und sagte nur: »Schau!«
Ich stand auf. Ich trat ebenfalls an die Reling und konnte nur staunen.
Wie hatte sich die Küstenlandschaft verändert!
Okay, rauh war sie geblieben, nichts Weiches war zu erkennt. Es gab keinen Badestrand, dafür tagten aus dem Wasser die Buckel mächtiger Felsen, die mich im ersten Moment an grau gestrichene Eisberge erinnerten, denn auch bei ihnen befand sich der größte Teil unter Wasser. Sie standen verteilt, die Räume zwischen ihnen waren nie gleich, aber in ihnen schäumte und strudelte das Wasser mit ungemeiner Kraft. Es war eine wütende, wilde Flut, eine mörderische Gefahr, der sich kein Schiff unserer Größe würde entgegenstemmen können.
Suko fuhr nicht einmal mehr mit halber Kraft. Das Wasser unter unserem Bootskiel war ebenfalls unruhiger geworden. Strudel und Wirbel tobten an den Seiten, sie zerrissen und zerrten, noch waren wir stärker.
»Ich muß auf die Brücke«, sagte Kate.
Dabei blieb ich an ihrer Seite. Ohne den Blick zu wenden, fragte Suko. »Ausgeschlafen?«
»Nein, abgebrochen.«
»Hast du Nerven.«
»Neidisch?«
»Ich bin ja Gönner.« Er wurde sachlich. »Wie nahe können wir an die Felsen heran?«
Kate hob die Schultern. »So genau kenne ich mich auch nicht aus. Ich muß mich auf das verlassen, was mir die Bewohner sagten, und die warnten vor diesem Gebiet.«
Suko nickte. »Zu recht. Zwischen diesen Klumpen möchte ich nicht schwimmen.«
Hinter den Felsen öffnete sich das Land wie ein Maul. Dort befand sich eine Bucht, deren Umrisse der Schaum der auslaufenden Brandungswellen nachzeichnete.
»Vielleicht sollten wir hier vor Anker gehen.«
»Wie du meinst, Kate.«
Ich verschwand, und Suko stoppte die Fahrt. Wir dümpelten nur auf den Wellen, ließen uns von der Dünung treiben und würden, wenn kein Anker ausgeworfen war, irgendwann an den Felsen zerschellen.
Unter Deck befand sich die Automatik für den Anker. Ein Motor sorgte dafür, daß er sich löste und in die Tiefe rasselte. Der Raum war klein, ich roch das Öl der Maschine und sorgte durch einen Knopfdruck dafür, daß sich der Anker löste.
Irgendwann lief die für mich sichtbare Kette nicht mehr weiter, der Anker hatte den Grund erreicht, der nahe am Strand nicht mehr sehr tief lag.
Wieder an Deck, sah ich, daß Suko seinen Platz an der Brücke verlassen hatte. Er stand mit Kate zusammen und schaute zu den Felsen hin. Sie wirkten auf mich wie dunkle Türme, die den
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