061 - In der Gewalt der Schneemenschen
geht es dann mit dem Hubschrauber weiter. Wir fliegen nach Namche Bazar, übernachten dort und legen den Rest des Weges zu Fuß zurück."
Sie verließen das Flughafengebäude und betraten den Parkplatz. Jeff hatte einen Buick gemietet. Sie verstauten das Gepäck im Kofferraum, und Jeff fuhr los.
Die ersten Eindrücke der Hauptstadt Nepals waren verwirrend. Rikschafahrer, das Klingeln unzähliger Fahrräder, dazwischen Autos, meistens uralte Modelle, fahrbare Wracks, Straßenverkäufer, alte Männer, die am Straßenrand hockten und Geschichten erzählten, dazwischen Katzen und Hunde, Träger, die alle Lasten auf dem Rücken trugen, Bettler und Kinder, unzählige Kinder.
Coco und Dorian konnten sich nicht satt sehen. Jeff fuhr ziemlich langsam und spielte Fremdenführer. Coco und Dorian hörten nur mit halbem Ohr zu; zuviel nahm ihre Aufmerksamkeit in Anspruch. „Katmandu wurde im Jahr 732 gegründet", erklärte Jeff. „Damals hieß es Kantipur. 1770 wurde es Nepals Hauptstadt. 1934 wurde ein Großteil der Stadt durch ein gewaltiges Erdbeben zerstört. Ganze Straßenzüge wurden im europäischen Stil angelegt.
Das Leben schien sich größtenteils auf der Straße abzuspielen.
Jeff mußte plötzlich heftig bremsen, als eine Kuh die Fahrbahn betrat. Sie blieb mitten auf der Straße stehen, kaute und musterte mißtrauisch den Buick.
„Hup sie mal an, Jeff!" sagte Dorian.
„Das lasse ich lieber bleiben", knurrte Jeff. „Das tat ich einmal, da wurde ich fast gelyncht. Kühe sind heilig. Man hupt sie nicht an."
Die Kuh hob den Schwanz, machte laut Muh und erledigte mitten auf der Straße ihr Geschäft. Ein Träger blieb neben der Kuh stehen und schob sie sanft zur Seite. Jeff konnte weiterfahren.
„In wenigen Minuten sind wir im Hotel", sagte Jeff.
Coco und Dorian hatten sich rasch umgezogen, dann trafen sie sich mit Jeff, der auf sie in der Hotelhalle wartete.
„Was steht jetzt auf dem Programm?" fragte Coco.
„Ich zeige euch die Altstadt", meinte Jeff. „Wir gehen zu Fuß. In einer halben Stunde haben wir den Durbar Square erreicht. Dort gibt es allerhand zu sehen."
Sie verließen das „Soaltee Oberoi", das im Stadtteil Tahachal lag, traten auf die Straße und folgten Jeff Parker.
„Habt ihr meinen Rat befolgt und ordentlich Konditionstraining betrieben?" fragte Jeff.
Coco nickte lächelnd. „Dorian nahm dabei fünf Kilogramm ab."
„Wir waren einige Tage am Dachstein", sagte Dorian, „dann drei Tage am Jungfrauenjoch. Coco hetzte mich jeden Tag mehrere Stunden umher. Ich fühle mich aber jetzt so gut wie seit Monaten nicht mehr."
„Das ist gut", sagte Jeff zufrieden.
„Mir ging es die ersten Tage ganz scheußlich. Ich war gewarnt worden, doch ich hörte nicht. Ich fühlte mich schwach und war völlig apathisch. Aber jetzt habe ich mich schon recht gut akklimatisiert."
Sie gingen langsam weiter. Immer wieder kamen ihnen bettelnde Kinder entgegen; immer wieder wurden sie von Händlern aufgehalten, die ihnen von Dolchen bis Haschisch alles mögliche verkaufen wollten.
„Katmandu ist ein richtiges Hippieparadies", sagte Jeff. „Es gibt einen eigenen Hippie-Bus, der die Brüder direkt von London hierher bringt. Meist halten sie sich in der Gegend der Taleju-Pagode auf. Haschisch ist billig hier."
Eine halbe Stunde später betraten sie den alten Marktplatz. Vor ihnen lag die weiße königliche Thronhalle, links stand ein Palastbau, der mit eindrucksvollen Holzschnitzereien verziert war. „Kumari Bahal", erklärte Jeff und zeigte auf den Palast. „Residenz der lebenden Göttin Kumari." „Den Palast muß ich mir ansehen", sagte Coco.
Sie traten durch das Tor, das von zwei Steinlöwen flankiert wurde, und kamen in einen großen Innenhof.
Jeff zeigte auf den Balkon, der sich dem Tor gegenüber befand. „Dort erscheint die Kumari auf Bitten der Gläubigen. Sie trägt immer ein rotes Gewand, eine goldene Tiara und ist vor allem an ihrer auffälligen schwarzen Augenbemalung erkennbar."
„Schade, daß wir sie nicht sehen können", meinte Coco bedauernd.
Dorian nickte. Er wußte, daß die Kumari ein junges Mädchen war, die als Inkarnation der Göttin Kali galt. Sie durfte den Palast nur einmal jährlich verlassen, und zwar während des Indra-Jatra- Festes.
Jeff führte sie im Schnellzugtempo durch die Altstadt, vorbei am NarayanTempel, dem Shiva- Tempel und zum Tempel des Akash Bhairav.
„So, genug der Besichtigungen für heute", sagte er schließlich. „Ich habe Hunger. Gehen wir ins
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