0614 - Der Clan der Wölfe
seinem Verdacht recht hatte und es sich bei Harowic tatsächlich um einen Wolfsmann handelt, wird er sogar zu Unrecht eingesperrt.«
»Eingesperrt? Die Rede ist von einer Klinik…«
»Es ist einfacher, aus einem Gefängnis entlassen zu werden als aus einer psychiatrischen Klinik«, knurrte Zamorra verdrossen. »Während du im einen jederzeit die Möglichkeit hast, auch nachträglich noch deine Unschuld zu beweisen, wird keiner dieser Seelenklempner ohne Zwang freiwillig zugeben, sich bei der Beurteilung seines ›Patienten‹ eventuell möglicherweise vielleicht unter Umständen ein wenig geirrt zu haben. Denn das hieße ja, die selbsternannte ›Wissenschaft‹ Psychologie anzweifeln zu können. Also wird man krampfhaft nach einem Grund suchen, die fragliche Person auch weiterhin festzuhalten. Nur gut für die Psychologen und Psychiater, daß die Parapsychologie noch ein paar Etagen tiefer im Narrenturm angesiedelt ist…«
»Und trotzdem bist du Parapsychologe geworden?« Nicole hob die Brauen. »Außerdem habe ich das Gefühl, daß du gewaltig übertreibst.«
Er schüttelte den Kopf.
»Du hast wahrscheinlich nicht die geringste Ahnung, wie spielend leicht es ist, jemanden in die Psychiatrie einweisen zu lassen. Zwei Unterschriften, und das war’s schon. Dort wird man schon dafür sorgen, daß man einen geistigen Defekt beim Kandidaten findet. Entweder wehrt er sich gegen die Therapie und behauptet, geistig gesund zu sein, aber das tun bekanntlich alle Verrückten. Oder er versucht mitzuspielen, um auf diese Weise schnell genug wieder rauszukommen, und damit gibt er ja zu, ’nen Klaps zu haben. Beides ist Grund genug, sich wenigstens zwanzig, dreißig Jahre eingehend mit ihm zu befassen.«
»Du übertreibst schon wieder«, kritisierte Nicole.
»Vielleicht. Aber ich kenne die Damen und Herren Kollegen und ihre Ansprüche nur zu gut. Einfach ist es jedenfalls nicht, aus dieser verdammten Mühle wieder rauszukommen, wenn erst mal irgendwo eine amtlich anerkannte Unterschrift eines Mediziners oder Psychologen auf einem amtlich anerkannten Fetzen Papier vorliegt. Wenn unser Mann tatsächlich ein Werwolf ist, hat der vermeintliche Neurotiker verdammt schlechte Karten, noch innerhalb dieses Jahrzehnts wieder draußen zu sein. Dazu kommt, daß seine Umgebung ihn schief angucken wird. Der war doch mal in der Klapsmühle… angeblich unschuldig… aber irgendeinen Grund wird es ja wohl gehabt haben… also holt die Kinder rein, wenn der Mann auf der Straße ist…«
»Das ist aber nicht die Schuld der Psychologie oder Psychiatrie, sondern die der Gesellschaft, die mit Fakten weniger gut umgehen kann als mit Stammtischparolen.«
»Sag’s der Gesellschaft«, brummte Zamorra unwirsch. »Es wird sich jemand finden, der behauptet, du wärst ja verrückt, wenn du so was sagst…«
»Sieht so aus, als könnte man heute nicht mit dir diskutieren«, sagte Nicole. »Ist wohl besser, ich rufe mal deinen Psychiater an…«
Er verdrehte die Augen. »Du hast nicht verstanden, was ich sagen wollte, nicht?«
»Nicht, wenn du selbst nur mit Stammtischparolen umgehst.«
»Manchmal wähle eben auch ich die Holzhammermethode, um etwas darzustellen«, sagte er. »Viele Einweisungen sind durchaus berechtigt, manche finden auch wider besseres Wissen gar nicht statt. Aber hin und wieder wird diese Möglichkeit auch mißbraucht, und schon ein einziger Mißbrauch ist zuviel. Das Problem ist: was ist normal, und was nicht? Es gibt keine endgültige, meßtechnisch nachweisbare Definition. Alles ist eine Ermessensfrage des einzelnen Gutachters. Wenn der ’nen schlechten Tag hat, hat sein Delinquent ein paar schlechte Jahre. Wer begutachtet den Gutachter? Wer entscheidet, was richtig ist und was falsch? Gerade in diesen Dingen sollte man sehr, sehr vorsichtig sein. Und was die Vorurteile unserer Gesellschaft angeht…«
»…höre ich mir deine Vorlesung ein anderes Mal an«, sagte Nicole. »Hast du vor, den Mann im Falle eines Falles zu rehabilitieren?«
Zamorra nickte.
»Gut. Auf meine Unterstützung kannst du dabei zählen. Ich werde mal versuchen, herauszufinden, wer der Patient ist. Bleibt es dabei, daß wir uns diesen Bürgermeister vornehmen?«
Zamorra nickte.
»Ihn und Han Loret…«
***
Stygia dachte nach.
Es lag noch nicht lange zurück, daß sie selbst eine empfindliche Niederlage erlitten hatte. Zwar war es ihr gelungen, eines von Merlins Amuletten und vor allem den Ju-Ju-Stab an sich zu bringen, aber ihre Hoffnung,
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