062 - John Flack
Erstaunen. »Ich bekam heute nachmittag ein Telegramm von ihm, in dem er sein Eintreffen für heute abend mitteilt und anfragt, ob ich ihn hier unterbringen könnte. Wenn ich nicht zufällig für diesen Fall Interesse hätte, hätte ich seinen Namen nicht gekannt und auch nicht die geringste Idee gehabt, was er eigentlich ist. Höchstwahrscheinlich würde ich ihn nicht aufgenommen haben.« Er sah plötzlich auf.
»Sie haben gesagt, er wäre gar nicht so alt. Kennen Sie ihn denn? Aha, ich sehe, daß Sie ihn kennen. Ich sehe seinem Besuch mit dem größten Vergnügen entgegen, um mich mit ihm über mein Lieblingsthema unterhalten zu können. Das wird ein geistiger Genuß werden.«
»Ich bezweifle, daß Mr. Reeder Verbrechen diskutieren wird«. sagte sie. »Er ist sehr zurückhaltend bei diesem Thema.«
»Wir wollen abwarten«, sagte Mr. Daver, und Margaret schloß aus seinem Verhalten, daß er auf jeden Fall nicht den geringsten Zweifel hatte, daß ein Beamter aus der Abteilung des Generalstaatsanwaltes nicht sofort auf eine derartige Unterhaltung mit einem verständnisvollen Zuhörer eingehen würde.
Mr. Reeder traf kurz vor sieben ein und hatte zu ihrer Überraschung auf seinen Gehrock und seinen merkwürdigen Hut verzichtet. Er trug einen grauen Flanellanzug und sah beinahe ›unternehmend‹ aus. Er hatte zwei sehr starke und schwer aussehende Koffer bei sich.
Ihr Zusammentreffen war nicht ganz ohne Verlegenheit.
»Ich hoffe, Miss - hm - Margaret, Sie halten mich nicht für zudringlich. Aber, um die Wahrheit zu sagen, ich habe ein wenig Ausspannung nötig.«
Er hatte nie weniger danach ausgesehen, als ob er eine Erholung nötig hätte, wie in diesem Augenblick. Im Vergleich zu dem Reeder, den sie kannte, machte dieser Mann einen sehr lebhaften Eindruck.
»Wollen Sie bitte in mein Büro kommen«, sagte sie ein wenig unsicher.
Als sie ihr Arbeitszimmer erreichten, öffnete Mr. Reeder ehrerbietig die Tür. Sie hatte die Empfindung, daß er den Atem anhielt, und sie hatte den beinahe unwiederstehlichen Wunsch, in Lachen auszubrechen. Sie faße sich aber und schritt in ihr Allerheiligstes voran. Als sich die Tür geschlossen hatte, begann sie schnell:
»Ich habe mich ganz abscheulich gegen Sie benommen, Mr. Reeder. Ich hätte Ihnen schreiben müssen. Die ganze Angelegenheit war ja lächerlich . . . Unser Zank, meine ich.«
»Die Meinungsverschiedenheit«, sagte Mr. Reeder. »Ich gebe zu, ich bin sehr altmodisch, aber ein alter Mann.«
»Achtundvierzig ist nicht alt«, sagte sie. »Und, warum sollten Sie denn keinen Backenbart tragen? Es war unverzeihlich von mir . . ., nur Neugier . . . Ich wollte gern mal wissen, wie Sie ohne Bart aussehen würden.«
Mr. Reeder hob abwehrend die Hand, seine Stimme klang beinahe lustig.
»Der Fehler war gänzlich auf meiner Seite, Miss Margaret. Ich bin nun mal altmodisch. Sie denken doch nicht vielleicht, daß es - hm - unziemlich ist, wenn ich Larmes Keep einen Besuch abstatte?«
Er blickte nach der Tür und dämpfte die Stimme.
»Wann ist Mr. Ravini weggegangen?«
Sie sah ihn erstaunt an.
»Sind Sie deswegen gekommen?«
Er nickte langsam.
»Ich erfuhr, daß er sich hier aufhielt. Irgend jemand hat es mir erzählt. Wann ging er weg?«
Sie erzählte ihm ganz kurz ihr nächtliches Erlebnis. Er hörte ihr aufmerksam zu, und sein Gesicht wurde länger und immer länger. Als sie ihren Bericht beendet hatte, sagte er:
»Und vorher? Können Sie sich noch erinnern, was da vorgefallen ist? Haben Sie ihn am Abend vor seiner Abreise gesehen?«
Sie runzelte die Stirn und versuchte, sich die Vorgänge ins Gedächtnis zurückzurufen.
»Ja«, sagte sie plötzlich, »er ging im Park mit Miss Crewe spazieren. Er kam ziemlich spät zurück . . .«
»Mit Miss Crewe?« fiel er ein. »Miss Crewe? Ist das die recht interessante junge Dame, die ich mit einem Geistlichen Krokett spielen sah, als ich über den Rasenplatz kam?« Sie sah ihn überrascht an.
»Sind Sie denn über den Rasenplatz gekommen? Ich dachte, Sie sind vor dem Haupteingang vorgefahren -«
»Ich stieg oben auf dem Hügel aus dem Wagen«, erklärte Mr. Reeder hastig. »In meinem Alter ist etwas körperliche Bewegung sehr wichtig. Die Zugänge zu dem Haus sind entzückend. Eine junge Dame, ziemlich blaß, dunkle Augen . . . Hm!« Er sah sie forschend an, den Kopf zur Seite geneigt. »So . . ., also sie und Ravini gingen spazieren. Waren sie denn miteinander bekannt?«
»Ich glaube nicht, daß Mr. Ravini sie kannte,
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