0621 - Weckt die Toten auf!
aufgeschwungen. Eva trat ein, stutzte und schüttelte dann den Kopf. »So was habe ich mir aber immer ganz anders vorgestellt.«
Nicole setzte sich auf.
»Ich wollte eigentlich nur mal fragen, ob wir für den Rest des Tages hier im Hotel versauern oder noch etwas unternehmen. Vielleicht an den Strand gehen, oder in eines der Lokale.«
»Möglicherweise sind wir dann aber nicht rechtzeitig zum Beginn des Festumzuges wieder hier«, gab Nicole zu bedenken.
»Der dauert doch ohnehin fast zwei Tage«, schmunzelte Zamorra. »Auf eine Stunde mehr oder weniger wird es dabei doch kaum ankommen, nicht wahr?«
Eva nickte munter.
Sie strich sich mit einer verlegen wirkenden Geste durch das lange blonde Haar. »Es ist so«, sagte sie leise, »daß ich mich allein einfach nicht so recht raustraue. Und…«
»Und du vermißt Teri, nicht wahr?« fragte Nicole.
Eva nickte.
Aber die Silbermond-Druidin hatte sich gleich nach der Ankunft wieder verabschiedet. »Ich hab' mir das Spektakel schon so oft angesehen, daß es mich nicht mehr besonders reizt«, hatte sie erklärt, nachdem sie die drei anderen hierhergebracht hatte. Kein Wunder - sie konnte sich ja mit Hilfe ihrer Druiden-Magie jederzeit an jeden beliebigen Ort versetzen und in ein paar Sekunden vielleicht schon mitten im Karneval von Venedig sein -oder im kältesten Sibirien. Oft genug hatte Zamorra sie schon um diese magische Gabe beneidet.
»Außerdem werde ich Gryf suchen«, hatte Teri gesagt. »Ich muß wissen, ob es ihm gut geht, ob dieser druidenmordende Vogeldämon ihn nicht auch gejagt und vielleicht verletzt oder getötet hat.«
Ihr Verdacht war nicht ganz von der Hand zu weisen; während des Vorfalls hatte sie auch mit ihren telepathischen Fähigkeiten nirgendwo auf der Welt eine Spur von Gryf ap Llandrysgryf aufnehmen können. Keiner von ihnen ahnte, daß der Silbermond-Druide sich mental vollkommen abgeschirmt hatte, um eben nicht aufgespürt zu werden.
Auch jetzt noch.
»Vielleicht hat er nur noch nicht festgestellt, daß es den Dämon nicht mehr gibt«, gab Zamorra zu bedenken. Aber Teri wollte sich trotzdem nicht von der Suche abhalten lassen, und Zamorra war auch gar nicht böse darum; auch ihn interessierte, wie es dem alten Freund ergangen war. Immerhin hatte auch er sich eine Menge Sorgen um Gryf gemacht. [2]
Er warf einen Blick auf die Uhr. »Also los«, sagte er. »Schauen wir uns das Strandleben an.«
Nicole erhob sich und pflückte die Straß-Händchen von ihrer Haut, um in einen knappen Tanga und eine dünne Bluse zu schlüpfen. Die Karnevals-›Kostümierung‹ war für die Strände von Copacabana und Ipanema doch etwas zu dürftig…
***
Pablo Escanderon glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen.
Gerade hatte er seine langen, schmalen Finger in eine fremde Tasche tauchen lassen wollen, um eine gut gefüllte Touristen-Geldbörse abzufischen, als er Rosita sah.
Es mußte Rosita sein.
Wie eine Schlafwandlerin schritt sie durch eine schmale Seitengasse. Sie trug einen zerlumpten, grauen Kittel, der vor Schmutz starrte, und ihr Haar war wirr und strähnig. Aber sie war eindeutig Rosita; Pablo erkannte sie an ihren Augen und an der Art, wie sie sich bewegte.
Kein Zweifel.
Er kannte sie gut genug, um nicht an eine Doppelgängerin zu glauben. Für ein paar Wochen waren sie einmal zusammengewesen, und auch später, wenn sie sich zufällig trafen, war gegen ein bißchen Sex nichts einzuwenden gewesen; ihr neuer, reicher Verlobter brauchte ja nichts davon zu wissen.
Zumindest hatte sie gesagt, sie sei verlobt. Damals, vor Wochen, kurz vor ihrem Tod.
Vor ihrem Tod!
Sie lag im Grab. Und doch bewegte sie sich hier durch die Gasse.
Pablo bekreuzigte sich. Wie konnte das sein? Mit rechten Dingen ging es sicher nicht zu.
Er mußte herausfinden, was geschehen war.
Gut gefüllte Geldbörsen konnte er auch später noch stibitzen. Die liefen ihm in diesen Tagen nicht fort. Im Gegenteil, der ›Gabentisch‹ war gerade zur Zeit des Karnevals überreichlich ›gedeckt‹.
Pablo setzte sich in Bewegung. Er folgte Rosita.
***
Jorge Navarro war kein Mann, der sich betrügen ließ. Er selbst war der Betrüger - er betrog den Tod. So wie alle Angehörigen der kleinen Gruppe. Sie waren Erwecker. Sie boten ihre Dienste an und ließen sich dafür bezahlen.
Und niemand durfte versuchen, sich vor dem Bezahlen zu drücken. Schon gar nicht so reiche Leute wie Paco da Canaira. Wenn es darum ging, einer in Armut lebenden Familie einen solchen
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