0625 - Lucifuges Mörder-Horden
Decke, die ihre Majestät entsetzt bis zum Kinn hochzog, um ihre entzückenden Blößen zu bedecken.
Der König selbst war weniger zimperlich. Er sprang auf und blieb direkt vor Santor stehen.
»Du wagst es, mich hier zu stören, Santor?« flüsterte er blaß und starrte den Dominus entgeistert und halb zornig an. Wohl ging ihm in diesem Augenblick auf, was er in diesem Mann als Freund hatte, weil ein anderer, ebenso gut im Palast bekannt, auf die gleiche Weise hätte bis zu ihm Vordringen können, um ihm einen Dolch in die Brust zu stoßen.
»Ich würde noch mehr wagen«, keuchte Santor. »Du etwa nicht, wenn jemand sich an deiner Tochter vergriffe…?«
»Was?« schnappte der König.
Santor rüttelte ihn. »Wir sind Freunde, und nie habe ich versucht, diese Freundschaft für meine privaten Zwecke zu nutzen, aber diesmal bitte ich dich! Gib mir Soldaten! Unterstelle mir eine Hundertschaft! Ich muß Patricia zurückbekommen. Lebend!«
Der Stadtkönig entwand sich seinem Griff. »Erzähle!« verlangte er.
Santor tat es.
»Warte in der Bibliothek, Freund«, verlangte der König.
Santor nickte. Er verließ das prunkvolle Schlafgemach und suchte die Bibliothek auf. Wie alles im Palast war sie gigantisch. Abertausende von Folianten und Schriftrollen waren hier zusammengetragen. Selbst der Kaiser mochte keine so gigantische Sammlung sein eigen nennen.
Der Kaiser… warum mußte Santor in diesem Augenblick an ihn denken, den Herrscher, der über dem Dutzend Stadtkönige stand?
Santor wartete.
Nach einer Stunde verlor er die Geduld. Er brülle wieder. Ein Lakai erschien. »Führe mich sofort zu seiner Majestät«, fuhr Santor ihn an. »Auf dem schnellsten Weg! Selbst wenn der gerade mit seiner Frau zusammenliegt…«
Er lag nicht.
Er stand schon in der Tür, und er sah bedrückt aus.
»Schrei nicht, mein Freund«, sagte er. »Ich weiß nun, daß du die Wahrheit sprichst. Deine Tochter wurde entführt.«
»Ich kann mich entsinnen, dir das vor einer Stunde selbst mitgeteilt zu haben«, fauchte Santor. »Glaubst du mir neuerdings nicht mehr?«
Der König hob die Hand.
»Nichts täte ich lieber, als dir zu helfen… aber ich darf es nicht. Ich weiß jetzt mehr als du, und deshalb darf ich nichts für dich tun… ich darf dir auch nicht verraten, was dahinter steckt…«
Santor wankte rückwärts in einen Sessel. »Was hast du erfahren? Und wie?« keuchte er halb erstickt. »Ließest du dir deshalb so lange Zeit?«
Der König nickte.
»Mein Hofmagier brachte mir eine Information«, sagte er. »Frage mich nie danach. Ich darf dir nichts verraten, und ich darf dich nicht unterstützen. Aber ich werde dir auch nichts in den Weg legen…«
»Warum?« keuchte Santor. »Warum das?«
»Ich kann es nicht«, sagte der König dumpf. »Glaube mir, ich bin immer noch dein Freund. Ich stehe jetzt tief in deiner Schuld. Aber bestehe nicht auf Hilfe, nicht jetzt… das mußt du allein durchstehen.«
Santor erhob sich.
»Bitte«, murmelte er. »Bitte sage mir wenigstens den Grund.«
»Denke nach. Vielleicht findest du ihn. Ich darf nichts sagen«, ächzte der König.
»Ich ahne es«, sagte Santor dumpf. »Und ich gehe. Aber brich nicht dein Versprechen, mir nichts in den Weg zu legen.«
»Wenn du mir nicht verrätst, was du mit allem, was du tust, bezweckst«, flüsterte der König, »werde ich nicht genug wissen, um dich pflichtgemäß behindern zu müssen, aber dich statt dessen zu schützen versuchen. Doch verlange nicht mehr von mir.«
Santor ging. In seinem Kopf rotierten die Gedanken. Wer zwang den König, ein Verbrechen, eine Entführung, nicht ahnden zu lassen? Wer war mächtiger als der Stadtkönig?
Es gab nur zwei Möglichkeiten.
Eine war der Tempel der drei Götter. Wenn der Tempel hinter der Entführung steckte, war der König machtlos. Aber wann hatte es zuletzt in diesem Land Menschenopfer gegeben? Sie gab es längst nicht mehr, seit der Kaiser mit der Macht seiner Soldaten die Macht der Priester brach und sie zurechtstutzte.
Und die andere Möglichkeit…
Pflichtgemäß behindern zu müssen…
Santor schüttelte sich.
Der Kaiser selbst!
***
Merlin sah, daß sein Gegner Punkte machte. Lucifuge Rofocale hatte dieses Spiel schon unzählige Male hinter sich gebracht. Er wußte, wie er jeden anderen in die Enge treiben konnte.
Er hatte seine Assassinen ins Spiel gebracht, seine Mörder-Gilde, und er hatte einen Faktor ausgeschaltet, der eine Vorentscheidung hätte bringen und das Spiel damit hätte
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