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063 - Das Verrätertor

063 - Das Verrätertor

Titel: 063 - Das Verrätertor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Wallace
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und blind war, solange sie sich erinnern konnte. Aber sie hatte in Mr. Halletts Haus jahrelang gelebt, dort ihre Schulferien zugebracht, hatte sich an dem ganzen Landsitz erfreuen dürfen und war auf den Pferden geritten. Die Dienerschaft hatte sie als Herrin respektiert und für sie gesorgt.
    Sie sah diesen ruhelosen Mann, der immer zu reisen schien bald in Indien, bald in Amerika, dann wieder in Südeuropa schließlich als das Symbol aller Wirrnisse in ihrem Leben an.
    Manchmal haßte sie ihn. Niemals beantwortete er die Briefe, die sie ihm schrieb, nie hatte er ein freundliches Wort an sie gerichtet. Sie bekam Geschenke zu ihrem Geburtstag und zu Weihnachten. Am 10. Juni jedes Jahres erhielt sie regelmäßig Blumen, aber sie hatte noch nie eine Zeile von ihm gesehen. Er war ein Mann, der seine Pflicht ohne Herzlichkeit mechanisch erfüllte, und es bedrückte sie, daß er ihr immer aus dem Weg ging. Sie wußte genau, daß es kein Zufall war, daß er Monk’s Chase stets einen Tag vor ihrer Ankunft verließ, wenn sie auf Sommerferien kam, und erst einige Tage nach ihrer Abreise wieder dorthin zurückkehrte. Ihre Briefe ließ er durch seinen Bankier beantworten, einen verdrießlichen alten Mann, der in einem schmutzigen Büro in der Threadneedle Street wohnte und der nicht mehr Interesse an ihr nahm als Mr. Hallett selbst.
    Als ihre Zofe ihr an diesem Abend beim Auskleiden half, mußte sie viel an Monk’s Chase denken, besonders an den kleinen Bücherschrank in der Bibliothek. Nannie, ihre geschwätzige Kinderfrau, hatte ihr einmal verraten, daß er die Lösung aller Geheimnisse enthalte, die sie so gerne enthüllen wollte. War das nun eine Erfindung der alten Frau, um ihr etwas Angenehmes zu sagen oder sie zu beruhigen? Oder war es möglich, daß in dem Bücherschrank -?
    In einem Augenblick kindlicher Abenteuerlust hatte sie damals alle Schlüssel, die sie entdecken konnte, nach einem durchsucht, der zu dem Bücherschrank paßte. Schließlich fand sie auch einen, aber gerade als sie aufschließen wollte, hörte sie die Schritte eines Dienstboten, der in den Raum kam. Erschrocken schloß sie wieder zu und ging fort. Alle diese Jahre hindurch hatte sie aber den kleinen Schlüssel in einem Ledertäschchen aufbewahrt. Jetzt war die günstige Gelegenheit vorbei.
    Sie war ein Niemand! Diana Martyn hatte recht. Einige Monate früher hätte sie über eine solche herausfordernde Bemerkung nur gelacht, aber jetzt hatte sie Grund, diesen Schandfleck auszulöschen. Sie war klug und besaß genügend allgemeine Weltkenntnis, um sich alle Möglichkeiten vorzustellen, die das Geheimnis ihrer Geburt umgeben konnten. Sie wußte, daß reiche Leute Kinder unterhielten, die nicht ihre eigenen waren. Ihr selbst hätte das wenig ausgemacht, aber seitdem Dick Hallowell in ihr Leben getreten war, wurde ihr die Ungewißheit über sich selbst immer unerträglicher. Sie hätte ihm alles sagen mögen alles was sie wußte –, sie war ja auch dann seiner Zuneigung sicher. Er würde sie nicht enttäuschen. Selbst wenn sie das Schlimmste erfahren sollte, fürchtete sie nicht, seine Liebe zu verlieren.
    Am nächsten Morgen wachte sie wieder mit dem Gedanken an Monk’s Chase und den kleinen Bücherschrank auf. Am Nachmittag faßte sie einen Entschluß. In ihrem Besitz befand sich auch der Schlüssel der hinteren Tür…

4
    Nachdem Hausmeister Stimmings das große Tor von Monk’s Chase für die Nacht mit Riegeln und Ketten geschlossen hatte, berichtete er seinem Herrn, daß der Himmel seine Schleusen geöffnet habe. Doch der zeigte wenig Interesse für diese Mitteilung. Den ganzen Nachmittag hatte es schon geregnet, und beim Abendessen war das Unwetter heftig geworden. Es goß in Strömen. Unterhalb Lower Oaks hatte sich in der Talsenkung ein Teich gebildet. Nur die Mitte der Fahrstraße ragte daraus hervor. In den Gräben zu beiden Seiten flossen Gießbäche, die von den Hügeln von Black Wood kamen und sich vor dem Pförtnerhaus zu einem kleinen See ansammelten.
    Die Nacht war pechschwarz, und man hörte nichts als das Pladdern des niederfallenden Wassers.
    Der Postomnibus von Worplethorpe fuhr langsam durch den plätschernden Regen. Das Keuchen seines alten Motors gab eine melancholische Begleitung zu dem Quietschen der Reifen auf der nassen Straße.
    Unter einem Baum zog der Chauffeur die Bremsen an. Die Tür des alten Wagens klappte auf, und eine schlanke Gestalt stieg heraus.
    Es war ein Mädchen, das von Kopf bis Fuß in einen glatten,

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