063 - Das Verrätertor
Rauchwolken. »Arme Hope Joyner!«
»Ich möchte dir die Wahrheit mitteilen«, sagte Hope verzweifelt. Dick Hallowell lachte.
»Ein löblicher Vorsatz«, meinte er. »Aber ich denke, ich kann es auch so aushalten. Was quält dich, Liebling?«
Er nahm ihre Hände in die seinen, und sie ließ sie ihm eine Sekunde lang.
»Du wirst nichts mehr von mir wissen wollen – wenn du alles erfahren hast«, sagte sie krampfhaft. »Erinnerst du dich an das, was Diana Martyn über mich gesagt hat?«
»Diana spricht so vieles über alle Leute, daß ich es nicht behalten kann«, sagte Dick lächelnd.
»Natürlich erinnerst du dich! Sie sagte, ich sei ein >Niemand<.«
»Das ist absurd«, sagte Dick. »Du bist doch da, bist ein reizendes, entzückendes Mädchen, das mich in seinem wunderschönen Salon zum Tee einlädt. Du bist genauso vorhanden wie das Hotel Ritz, das ich durch dein Fenster sehen kann.«
»Rede keinen Unsinn. Sie meinte, ich hätte keine Abstammung, keine Eltern… Es bestände die Möglichkeit, daß ich… ach, irgend etwas Schreckliches sein könnte, das du dir selber ausdenken magst. Du verstehst doch etwas von Heraldik und weißt, was schwarze Felder im Stammbaum bedeuten?«
»Also, das ist deine ganze Sorge?« fragte Dick. »Kommt es denn darauf überhaupt an? Schwarze Felder kommen in allen, selbst den besten Stammbäumen vor. Ich weiß nicht, ob in meinem nicht auch welche vorhanden sind.«
Daß er so ohne weiteres über diesen Punkt hinwegging, nahm ihr den Atem. Für einen Augenblick war sie erleichtert, im nächsten aber wieder voller Sorge.
»Ich weiß nicht, ob es auch bei mir zutrifft«, sagte sie. »Es ist schrecklich von dir, Dick, daß du so etwas glaubst.«
»Ich glaube nichts anderes von dir, als daß du das liebste Mädchen auf der ganzen Welt bist. Ich werde dich heiraten, meinen Militärdienst quittieren und sehr glücklich mit dir werden!«
»Sei doch bitte vernünftig, Dick. Siehst du denn nicht, in welch ungewisser Lage ich bin? Ich weiß nicht, woher ich mein Geld bekomme, ich weiß nicht, wer meine Eltern sind. Ich bin direkt ein – Niemand! Ich muß darauf zurückkommen. Früher machte mir das nichts aus, und ich kümmerte mich nicht darum, bis – nun, bis du in mein Leben kamst.«
Sie dachte ein wenig nach, ihre Brauen zogen sich zusammen, dann fuhr sie fort. »Ich will dir etwas erzählen.« Ohne ihr Vorgehen zu entschuldigen oder zu beschönigen, berichtete sie ihm von ihrem Besuch in Monk’s Chase.
Dick hörte gespannt zu.
»Du bist doch ein unvorsichtiger Naseweis, daß du dich ohne Grund solchen Gefahren aussetzt«, sagte er. »Wer ist eigentlich Hallett?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich weiß nichts von ihm, nur daß er sehr reich und teilnahmslos ist, wenigstens soweit ich in Frage komme. Er besitzt einen großen Landsitz in Kent. Den größten Teil meiner Kindheit brachte ich dort zu.«
»Hast du ihn niemals gesehen?«
»Nie, er war immer auf Reisen, wenn ich in Monk’s Chase war. Ich habe seine Rechtsanwälte gefragt, ob er irgendwie mit mir verwandt sei, aber sie haben mir nie etwas darüber mitgeteilt.«
»Er ist also nicht mit dir verwandt?« fragte Dick.
»Kaum. Er kannte meine Mutter – ich habe die Vermutung, daß eine romantische Geschichte hereinspielt, aber ich konnte ja nie mit Mr. Hallett darüber sprechen. Er ist einer der Zeugen unter dem Testament meines Vaters – wenigstens vermute ich das!«
»Hast du jemals das Testament gesehen?«
»Nein, Dick, ich habe überhaupt nichts gesehen. Ich weiß nur, daß ich ein sehr großes Einkommen beziehe, und wenn ich mit zweifelhaften oder schlechten Leuten zusammenkomme, erhalte ich von meinen Rechtsanwälten eine scharfe Warnung, in der mir mitgeteilt wird, daß ich eine unerwünschte Bekanntschaft gemacht habe. Sie schicken mir auch immer Carlows Liste zu.«
»Und hast du keine anderen Verwandten?«
»Keine«, antwortete sie ein wenig verstört. Aber dann lachte sie wieder. »Du siehst, daß ich ein Niemand bin.«
»Ich vermute, du wirst von deinen Rechtsanwälten meinetwegen auch einen Brief bekommen«, bemerkte er. »Wenn ich auch selbst keinen Anlaß gebe, so habe ich doch sehr unerwünschte Verwandte!«
Er dachte noch über diesen letzten Punkt nach, als er Piccadilly hinunterging, und es war kein Zufall, wie es zuerst schien, daß er seinem Bruder begegnete, als er den Platz betrat. Graham Hallowell sah nicht mehr wie ein heruntergekommener Umhertreiber mit abgetretenen Absätzen aus. Er
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