063 - Das Verrätertor
plötzlich.
»Sie hat es von Trayne – sie weiß, daß er einen Geldschrank gekauft hat, der an Kapitän Boß geliefert werden soll – das ist die Erklärung.«
»Aber wie konnte sie wissen, daß ich etwas mit der Sache zu tun habe?«
»Sehr einfach«, entgegnete Diana ruhig. »Mrs. Ollorby sah dich mit Boß zusammen. Sie weiß, daß der Geldschrank an Bord der >Pretty Anne< abgeliefert werden soll. Nun brauchte sie doch nur die verschiedenen Tatsachen zusammenzustellen. Möglicherweise hat sie diese Nachricht nur an dich gesandt, um eine Bestätigung zu haben. Hast du Trayne angerufen, nachdem du die Botschaft erhieltest?«
Er nickte.
»Natürlich hast du das schon wieder getan. Sie hat doch jemand im Telefonamt veranlaßt, das Gespräch abzuhören. War Trayne zu sprechen?«
»Er war fortgegangen.«
»Da hast du Glück gehabt!« sagte sie warnend zu ihm. »Ich sorge mich nicht um Mrs. Ollorby, sie beobachtet bloß. Sie mag ja richtig beobachten, aber sie weiß nicht genau, ob sie mit ihren Vermutungen recht hat. Ich möchte dir doch einen guten Rat geben. Bleibe soviel wie möglich vom Telefon fort – «
Es wurde an die Tür geklopft, und noch bevor Graham »Herein« rufen konnte, kam der Gärtner ins Zimmer und zog die Tür sofort hinter sich zu. »Kennen Sie eine Mrs. Ollorby?« fragte er leise.
Graham Hallowell war zu erstaunt, um sprechen zu können. Er nickte bloß.
»Wünschen Sie, daß sie hereinkommt?«
»Daß sie hereinkommt?« fragte Diana erstaunt. »Wieso?«
»Sie ist draußen.« Graham und Diana schauten einander an.
»Soll sie hereinkommen?« fragte der Gärtner wieder.
Diana erholte sich zuerst von ihrem Schrecken.
»Wo? Hier? Hier im Haus?« fragte Graham.
»Ja, hier im Haus«, sagte sie, als Graham noch starr vor Schrecken und Verwunderung dasaß. Als er Einspruch erheben wollte, brachte sie ihn mit einem Wink zur Ruhe.
Eine Sekunde verging, dann öffnete sie die Tür schnell, und Mrs. Ollorby trat mit einem verbindlichen Lächeln auf den Lippen vergnügt ins Zimmer.
»Guten Morgen, meine Herrschaften!« Ihr Ton war herausfordernd fröhlich. Sie zeigte nichts mehr von der Unterwürfigkeit, die sie beim ersten Zusammentreffen mit Diana an den Tag gelegt hatte. Sie sprach vollkommen wie eine Gleichberechtigte. »Wie schön ist doch der Sonnenschein heute – und die vielen herrlichen Blumen und die Bäume – und wenn ich so die Blätter rauschen höre, dann fühle ich mich wieder wie ein junges Mädchen. Manche Leute lieben mehr die See und die Küste«, fuhr sie zu plaudern fort, »aber ich liebe den Aufenthalt auf dem Land, die weiten, grünen Rasenflächen und die blumigen Wiesen. Dagegen diese doppelten großen Schornsteine der Dampfer! Schiffe haben doch gewöhnlich Schornsteine böse, schwarze Dinger, von denen die Farbe abblättert. Auf Schiffen gibt es keine Bäume und Felsengärten, nicht wahr, Miss Martyn, Schiffe haben doch keine Felsengärten?«
Diana antwortete nicht.
»Das Beste an einem Schiff«, fuhr Mrs. Ollorby fort, ohne daß sie jemand dazu ermutigt hätte, »ist sein Name. Aber das will nicht viel sagen. Nehmen wir zum Beispiel die >Pretty Anne< (Hübsche Anna). Was ist denn überhaupt hübsch an ihr? Nicht einmal ihr Kapitän. Ich würde mich eher entschließen, mit einem kleinen Geldkasten in dieser Villa zu wohnen, als mit einem großen Geldschrank über den Atlantischen Ozean zu fahren, besonders wenn ich ein Mann wäre, der früher so allerhand unangenehme Erfahrungen gemacht hat. Geben Sie mir nicht recht, Miss Martyn?«
Der Gärtner stand noch an der Tür und war wie zu Stein erstarrt. Diana fand ihre Stimme wieder und begann:
»Ich weiß nicht, was ich denken soll – «
Aber die Frau unterbrach sie.
»Sie verstehen nicht, was es bedeutet, daß ich in Ihre hübsche kleine Villa einbreche?« sagte Mrs. Ollorby mit einem Lächeln auf ihrem breiten Gesicht. »Wissen Sie, Miss Martyn, ich war gespannt, was Sie zuerst sagen würden: >Ich weiß nicht, was ich denken soll< oder >Wollen Sie mir bitte erklären< oder gar >Wie dürfen Sie überhaupt?< Es gibt eigentlich wenig originelle Wendungen, die Sie gebrauchen können, wenn Sie ärgerlich sind. Wenn Sie genügend Intelligenz haben, sich etwas ganz Neues auszudenken, dann haben Sie auch genügend Intelligenz, um ruhig zu sein.«
Sie sah sich in dem getäfelten Speisezimmer um. Chinaporzellane mit blauen Mustern standen ringsum auf den Paneelen. Auf dem polierten Tisch dufteten Rosen aus einer
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