0630 - Minotaurus aus der Hölle
Bestimmt hat dein Unterbewußtsein gut daran getan, diese Bilder zu blockieren.«
Eva schüttelte sich. »Vielleicht«, sagte sie. »Aber vielleicht will ich cs auch wissen.«
»Wie dir jemand ein Messer an die Kehle setzt? Ich könnte mir was Schöneres vorstellen«, erwiderte Nicole.
»Zum Beispiel, als Hexe verbrannt zu werden, wie?« Eva schüttelte den Kopf. »Ich denke, ich werde diese Rückführung machen.«
»Laß es lieber«, empfahl Nicole. »Manchmal ist es besser, etwas nicht zu wissen, als später dadurch belastet zu sein. Ich würde es an deiner Stelle nicht riskieren.«
»Du bist aber nicht an meiner Stelle.«
Nicole schloß die Politurdose. Sie war gerade damit fertig geworden, ihren im Schatten geparkten Cadillac-Oldtimer auf Hochglanz zu polieren. Alles in sorgfältiger Handarbeit mit weichem Tuch und Watte; das weiße Cabrio glänzte in der Sonne prachtvoller als vor 39 Jahren frisch vom Fließband. Vorsichtig lehnte sich Eva an den hinteren Kotflügel mit den hoch aufragenden Heckflossen, elegantes Stilmittel des beginnenden Raketenzeitalters, dreißig Jahre später aber längst verpönt, aus Sicherheitsgründen - man könnte ja beim Rückwärtsfahren einen Fußgänger damit aufspießen…
Außerdem waren so kompliziert ausgeformte Bleche im Falle eines Unfalls nicht gerade reparaturfreundlich… Dafür aber war der Wagen mit seinen Ecken und Kanten im Zeitalter abgerundeter Uniformität immer wieder ein Blickfang besonderer Art.
»Wann willst du es versuchen?« fragte Nicole, wischte mit dem Lappen noch einmal über eine Stelle, die ihr nicht ganz gleichmäßig poliert zu sein schien und war anschließend endlich mit ihrem Werk zufrieden. »Heute?«
»Zamorra will mir noch etwas Zeit lassen, mich mit dem Gedanken vertraut zu machen«, sagte die Blonde.
»Dann könnten wir ja heute noch etwas unternehmen«, überlegte Nicole mit einem Blick auf die Armbanduhr. »Der Wagen ist fertig, der Bürokram schon seit gestern, und kein böser Dämon blickt uns rachelüstern über die Schultern und verlangt nach raschem Erschlagenwerden - vielleicht können wir die anderen mal wieder zu einer kleinen Grillparty an der Loire überreden. Das hatten wir schon lange nicht mehr.«
»Grillparty an der Loire?« echote Eva verständnislos.
»Es gibt kurz hinter dem Dorf in einer Flußbiegung eine kleine Bucht, ringsum von wild wucherndem Grün umsäumt. Manchmal trifft sich da die Dorfjugend, manchmal nehmen wir sie in Anspruch. Da wachsen auch Regenbogenblumen. Wir können also mit der kompletten Grillausrüstung direkt dorthin, ohne die Autos nehmen zu müssen.«
»Aber hier auf dem Château-Gelände hätten wir es doch viel einfacher und näher.«
»Aber die Loire plätschert da unten so schön vor sich hin, kein Vergleich mit unserem Pool hier oben. Das hier ist Zivilisation, am Fluß herrscht noch Wildnis. Na ja… ein kleiner Hauch von Wildnis. Nur ein paar Dutzend Kilometer weiter nördlich wird die Loire bereits gezähmt und industriell ausgebeutet. Da ist es vorbei mit der Wildwasser-Romantik. Aber hier ist die Welt noch in Ordnung.« Nicole war ins Schwärmen geraten. »Ein kleines Lagerfeuer, ein Glas Wein, Patricia spielt Gitarre, und kein Mensch regt sich darüber auf, wenn man nackt herumläuft…«
»Also, ich werde wohl nicht nackt herumlaufen«, sagte Eva leise.
»Nach ein paar Minuten merkst du's gar nicht mehr«, schmunzelte Nicole. »Und es ist herrlich, den Wind und die Sonne direkt auf der bloßen Haut zu spüren. Na schön, wir können ja auch eben nach Lyon fahren und dir einen Bikini kaufen. Zeit genug haben wir noch. Oder ich leihe dir einen von meinen. Die Dinger trage ich ja doch so gut wie nie.«
»Heute, am Fluß, auch nicht?« fragte Eva.
Nicole lachte. »Wozu?« Im gleichen Moment bemerkte sie Evas prüfenden Blick und begriff, daß sie mit dem Feuer spielte. Das Para-Mädchen machte sich nichts aus Männern, zog statt dessen Frauen vor. Nicole hoffte, daß Eva die Bemerkung nicht als eine Art Einladung oder Aufforderung wertete… nicht umsonst zeigte sich Nicole in ihrer Gegenwart nicht mehr ganz so freizügig, wie sie es normalerweise zu tun pflegte. Sekundenlang war sie ernst geworden, lächelte aber wieder. »Du wirst ja wohl nicht gleich über mich herfallen. Zamorra kann sehr eifersüchtig sein.«
Was nicht stimmte - Eifersucht hatte in ihrer Beziehung keinen Platz, weil sie sich beide bedingungslos treu waren und einander vertrauten. Aber es konnte nicht
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