0631 - Die Bluteulen
Schweiß und Rauch riechenden, stickigen Buden der Herberge, wo die Menschen immer dicht vor einem Ausbruch der Gewalt standen.
Der Frühling brachte die neuen Gerüche mit. Ihre Nasenflügel zitterten, als Bettina tief Luft holte und sich über die anwehende Frische freute.
Jetzt, wo sie auf der Bank saß und eins mit der Natur wurde, da war sie sich wieder völlig sicher, genau richtig gehandelt zu haben. Rumänien wäre für sie nichts gewesen. Trotz des Umsturzes war ihr die Welt dort zu eng vorgekommen. Erst hier in Deutschland hatte sie frei durchatmen können, auch wenn man sie in dieser Herberge untergebracht hatte, wo Otto, der Hausmeister, ein strenges Regime führte.
Im Gegensatz zu vielen anderen Bewohnern hatte Bettina Constanza eine Perspektive, weil sie genau wusste, wohin sie gehörte. Sie würde in eine Welt eintauchen, die eigentlich grenzenlos war und nach bestimmten Regeln existierte, wobei sie selbst darüber nicht zu bestimmen hatte.
Wind wehte auf dieser Höhe immer. Auch jetzt fuhr er über das Gras, kämmte es wie mit dünnen Fingern, beugte die Spitzen und ließ es wogen wie ein Meer.
Der Wind raschelte hinter ihr durch das dichte Buschwerk, umsäuselte das breite Geäst mächtiger Bäume und spielte auch mit den Haaren der einsam auf der Bank sitzenden Frau.
Bettina hielt die Augen halb geschlossen. Ihre langen Wimpern waren wie schmale, dunkle Vorhänge. Sie atmete jetzt durch den halb geöffneten Mund und war etwas ärgerlich darüber, dass der Wind ihre Lippen so ausgetrocknet hatte.
Von einem Augenblick zum anderen veränderte sich ihre Haltung. Bettina schreckte hoch, als wäre sie von einem Schlag getroffen worden, blieb dennoch auf der Bank hocken, rutschte aber vor bis zur Kante und hielt die Augen sehr weit offen, weil sie unbedingt sehen wollte, was sie so erschreckt hatte.
Noch sah sie nichts…
Dafür hörte sie etwas. Und dieses Geräusch hätte sie normalerweise mit einem Lächeln quittiert, denn es war ein leises Rauschen, sehr typisch, was den Flug einer Eule anging, die ihre Flügel in einem bestimmten Rhythmus bewegte.
Bettina schaute auf die Uhr und wunderte sich, dass die Vögel schon so früh anflogen.
Da stimmte etwas nicht…
Mit dieser Sorge im Herzen stand sie auf, ging einige zögernde Schritte von der Bank weg und betrat den schmalen Feldweg, der von Reifenspuren gezeichnet war, in denen das Gras wuchs.
Der Schatten schwebte in der Luft!
Auf Bettina wirkte er wunderbar, majestätisch, gleichzeitig so rein und wie gemalt.
Ihre Augen leuchteten, in den Pupillen strahlte die innere Freude wider, die sie bei diesem Anblick empfand. Der Mund war zu einem Lächeln verzogen. Sie wusste genau, dass es die Eule auf sie abgesehen hatte.
In dieser Höhe herrschten zudem Aufwinde, die wie ein Luftkissen wirkten, das den Vogel trug.
Er schwebte auf sie zu, wobei die Höhe nie gleich blieb und sich das Tier wiegte und bewegte wie auf einem Meer.
War das normal?
Bettina wusste es nicht. Sie war durcheinander, trotzdem versuchte sie, mit der Eule einen Kontakt herzustellen, was ihr bisher immer gelungen war.
Diesmal nicht!
Sie spürte deutlich die Strömung, die sie als Wille des Tieres bezeichnete, und diesmal erschrak sie davor.
Der Wille war brutal geworden, schrecklich und gleichzeitig auch grausam.
Er ›redete‹ vom Tod!
Gleichzeitig stellte sich der Körper in die Höhe, zeigte Bettina seine Brust, und etwas zischte plötzlich von der Seite her auf die Eule zu.
Bettina sah nur einen Schatten, der das Tier in der Mitte traf, sehr tief durchbohrte, es mit den Flügeln schlagen ließ, was Bettina mehr an den verzweifelten Bewegungen erkannte. Sie musste dann mit ansehen, wie das Tier steinschwer in die Tiefe fiel und auf den Boden schlug.
Sie hörte den dumpfen Aufprall, schloss für einen Moment die Augen und spürte die Trauer über den Verlust des Tieres. Ihr war, als hätte man ihr einen Verwandten genommen.
Dann rannte sie los.
Bettina wollte den Raubvogel nicht einfach im Gras liegen lassen. Sie musste zumindest sehen, wie er getötet worden war.
Möglicherweise lebte die Eule noch. Dann konnte sie das Tier gesund pflegen.
In der Dunkelheit fand sie die Eule nicht sofort. Nervös atmend lief sie einen Kreis und wäre fast über den Körper gestolpert, so nahe war sie ihm schon gekommen.
Bettina bückte sich nicht nur, sie fiel sogar auf die Knie und hatte Mühe, einen Schrei der Wut und des Entsetzens zu unterdrücken.
Es war ihrerseits
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