0631 - Die Bluteulen
der Nacht war sie in den Wald gegangen, und es trat etwas ein, mit dem sie nicht gerechnet hatte.
Die Eulen kamen zu ihr.
Sie flogen herbei, sie umkreisten sie zunächst, dann setzten sie sich auf ihre Schultern, wobei sie nicht einmal die scharfen Krallen spürte, so sehr war sie mit den Tieren verbunden.
Vögel, die sich sogar mit ihr verständigen konnten. Immer und immer wieder war Bettina in den Wald gegangen, um sich auf die Eulen zu konzentrieren.
Bis sie die Botschaft empfing!
Zuerst hatte sie sich darüber erschreckt, denn sie konnte es nicht glauben, dass sie die Vögel so gut verstand. Aber es stimmte. Sie gaben ihr eine Aufgabe mit auf den Weg.
Bettina sollte das Land verlassen und eine bestimmte Stelle im Bayerischen Wald aufsuchen, wo Dinge geschehen würden, die für sie lebenswichtig werden sollten.
Die junge Frau hatte es getan und gehorcht wie eine folgsame Schülerin. Sie war über die Grenzen gegangen, hatte sich als Anhalterin durchgeschlagen und zielsicher den Ort gefunden, der für sie von so großer Bedeutung sein sollte.
Einige Male schon hatte sie ihm einen Besuch abgestattet und sehr genau gespürt, dass an diesem Fleck Erde etwas Bestimmtes lauerte und noch verborgen war.
Auch in diesem sehr dichten und an manchen Stellen undurchdringlichen Waldgebiet waren ihr schon die Eulen begegnet, und hier hatte der Kontakt noch intensiver stattgefunden. Ihr war es vorgekommen, als hätten die Tiere nur auf sie gewartet.
Der erste Teil des Weges lag hinter ihr. Sie hatte sich in das Schweigen des Waldes begeben und war ihn so weit durchlaufen, bis sie ihn an einer höher gelegenen Stelle verlassen konnte. Wie ein Tier war sie aus dem Unterholz gekrochen und auf dem schmalen Feldweg stehen geblieben.
Bettina musste Atem schöpfen. Sie wühlte ihre Haare zurück, während sie nach vorn schaute und die welligen Bergkuppen wie ein erstarrtes Meer vor sich liegen sah.
Dunkle, bewegungslose Wellen. Manche Bergrücken mit Wald bedeckt, der wie ein gebogener Kamm wirkte. Andere lagen frei, über sie hinweg pfiff der Wind.
Sogar den Arber konnte sie erkennen. In seiner Höhe blitzten Lichter, und einige andere verteilten sich in der Umgebung. Sie schwebten aus den flachen Tälern hervor.
Nicht weit entfernt stand eine Bank. Es war ein wunderbarer Platz, der im Sommer sehr oft von Liebespaaren aufgesucht wurde. Die Bank stand günstig. Nach vorn hin war die Sicht frei, die anderen drei Seiten wurden von dichtem Buschwerk und hohen Bäumen umgeben, die einen regelrechten Schutzwall gebildet hatten, den ein Mensch nicht durchdringen konnte, ohne dass er gehört wurde.
Bettina Constanza nahm auf der Bank Platz und streckte ihre Beine vor. Die Hacken stemmte sie gegen das weiche Gras des Bodens. Obgleich ihre Haltung entspannt wirkte, war sie es nicht. Bettina wusste genau, dass sie beobachtet wurde.
Irgendwo hockten die Eulen, um sie unter Kontrolle zu halten, und irgendwann einmal würden sie sich von ihren Plätzen lösen und zu ihr kommen.
Sie richtete den Blick zum Himmel, der sehr klar und wie ein gespanntes Tuch über ihr lag.
Es war März, ein Monat, der im Bayerischen Wald oft genug noch Schnee brachte. Auf das Wetter konnte man sich in diesen Wochen nie verlassen. Aber es war anders gekommen.
Eine Südströmung hatte in den vergangenen Tagen beinahe schon sommerliche Temperaturen gebracht und die letzten Schneereste wegschmelzen lassen.
Viel früher als gewöhnlich hatten die Bäume und Büsche Knospen bekommen, die aufgingen, sodass sich das frische Grün der kleinen Blätter entfalten konnte.
Die Natur erwachte…
Und wachsam war auch Bettina. Der Mond hatte seinen perfekten Kreis noch nicht ganz erreicht.
Um ihn herum funkelten die Sterne. Auch sie schickten ein blasses, fahles Licht dem Erdboden entgegen und verstreuten es dort.
Bettina Constanza gab sich der Natur hin. Sie achtete auf die sie umgebenden Geräusche. Es war nie still. Immer wieder raschelte und knisterte es neben und hinter ihr.
Die Tiere der Nacht waren erwacht. Ratten und Mäuse huschten umher, sogar Marder gab es, auch Wölfe sollten sich hin und wieder aus Ost- oder Südosteuropa kommend in diese Gegend verirren.
Ein derartiges Tier aber hatte Bettina noch nicht entdecken können.
Die Zeit verstrich. Sie wusste, dass sich die Eulen stets Zeit ließen. Zumeist kamen sie gegen Mitternacht oder kurz davor.
Es machte ihr nichts aus, so lange zu warten. Hier war sie lieber als in den überfüllten, nach
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