0631 - Die Bluteulen
nicht vor. Dafür ärgerte er sich über die Staubschicht, die das dunkelrote Dach des Toyota bedeckte und sich durch den Regen in einem regelrechten Schmierfilm verwandelt hatte.
Zwei Bauarbeiter kamen ihm entgegen. »Hier können Sie nicht parken«, sagte einer.
»Ich fahre auch weg.«
»Ja, ist gut.« Sie gingen weiter, und der Mann aus Japan konnte endlich einsteigen.
Um die Lücke verlassen zu können, musste er rangieren, denn sie war sehr eng. Er hatte den Schlüssel ins Schloss gesteckt, wartete noch mit dem Start, schaute sich um, maß die Entfernung zu den Gerüstbalken ab und wollte den Schlüssel herumdrehen.
Da traf ein Schlag den Wagen!
Nicht auf dem Dach, der Deckel des Kofferraums war erwischt worden, und der Japaner spürte sehr deutlich das Nachzittern. Er dachte an einen Sack mit Sand oder Zement, drehte sich um und hörte das platzende Geräusch, als die Scheibe zerkrümelte und ihm einige Teile davon durch die Wucht entgegenflogen. Der Mann war unfähig zu handeln, denn was da durch die zerstörte Scheibe kroch, sah aus wie ein Vogel, eine Eule. Ein großer Kopf, ebenfalls große Augen, ein furchtbares Wesen.
Der Mann wusste Bescheid. Er wollte weg, aber er hatte zu lange gezögert.
Bevor es ihm gelang, die Tür aufzureißen, war die Eule über ihm. Zwar riss er seinen linken Arm zur Abwehr hoch, nur hatte der Vogel bereits den Beifahrersitz erreicht und tauchte mit seinem platt wirkenden Gesicht vor dem des Mannes auf.
Der Schnabel war wie ein scharfes Messer!
Kein Zeuge schaute zu, wie die Gesichtshaut des Japaners aufgerissen wurde und das Blut in Bächen aus den Wunden rann. Die Eule hackte wie irre, sie schlug gleichzeitig mit den Krallen zu, und in der Enge des Wagens konnte sich der Mann nicht wehren.
Das Innere war angefüllt von sich wild bewegenden Schwingen, von hackenden Krallen und einem wie geschliffen wirkenden Schnabel, der zielsicher eingesetzt wurde.
Der Japaner hatte keine Chance. Es war ihm nur gelungen, dem Killertier einige Federn auszureißen, zu größeren Aktionen oder Taten war er nicht fähig gewesen.
Irgendwann sackte er zusammen. Ein blutüberströmter Mensch, der seinen letzten Atemzug getan hatte.
Die Killereule aber verließ den Wagen auf dem gleichen Weg, den sie gekommen war.
Und niemand sah sie fortfliegen. Keiner bemerkte auch, dass sie in der Nähe blieb…
***
Nicht nur wir standen da, auch andere Kollegen hatten einen Kreis um den Wagen gebildet. Zwei Männer in hellen Kitteln zogen einen schlimm zugerichteten Körper ins Freie und legte ihn in die Wanne, die für Tote bestimmt war.
Dem Japaner hatte niemand mehr helfen können. Er war das Opfer eines furchtbaren Überfalls geworden.
»Der Tengu«, flüsterte Suko. »Wir haben es beide gewusst. Er ist wieder da.«
Ich schwieg und bückte mich, bevor der Deckel auf das Unterteil gesetzt werden konnte. Spaß machte es mir nicht, einen genauen Blick auf den Toten zu werfen, aber es musste sein.
Die Spuren wiesen auf ein Tier hin, und zwar auf ein bestimmtes, mit dem auch wir schon des Öfteren zu tun gehabt hatten.
»Die Strige«, sagte ich beim Hochkommen. »Es war die Strige, die den Mann tötete.«
»Wer sonst?«, fragte Suko. »Schließlich haben wir sie gesehen. Da zeigte sie uns, wozu sie fähig ist.«
»Können wir die Leiche wegschaffen, Sir?«
Ich nickte. »Ja, tun Sie das bitte.«
Der Deckel klemmte fest, dann schafften die beiden Weißkittel den Toten davon.
Suko und ich sahen nicht gut aus, als wir in den Wagen blickten und nach Spuren forschten.
Die Strige hatte grauenvoll gewütet, war aber auf Gegenwehr gestoßen, was wir anhand der herausgerissenen Federn, die sich überall verteilt hatten, erkennen konnten.
Wir sahen auch die beschmierten Sitze und fanden noch Dinge, über die ich schweigen möchte.
Wenig später stand ich unter dem Gerüst und rauchte eine Zigarette.
Andere Kollegen waren unterwegs, um Zeugen für die furchtbare Tat zu finden.
Suko kam zu mir und brachte Sir James mit, dessen Gesicht wie eine Maske wirkte. Ich blies den Rauch in den Regen und fragte meinen Chef: »Haben Sie es gesehen?«
»Sicher.«
»Er hat sich noch gewehrt, aber die verfluchte Strige oder Bluteule war stärker.«
»Kein Wunder - mit der Kraft des Tengus«, bemerkte Suko.
Sir James sprach ein Thema an, mit dem auch ich mich schon beschäftigt hatte. »Ich will einfach nicht daran glauben, dass der Japaner das einzige Opfer bleiben soll. Das Motiv für seinen Tod kenne ich
Weitere Kostenlose Bücher