Das letzte Mal (German Edition)
1 - Blauäugig
»Ich dachte, du bist größer!« Philipp van Bergen hatte die Tür geöffnet und warf einen nachdenklichen Blick auf die Express-Buchung Johanna May — über die für den eleganten Abend unpassend offenen, fast schwarzen Haare, die klaren und durch Mascara noch größer erscheinenden seegrünen Augen, über die vollen, zart geschminkten Lippen, den runden Busen, die schmale Taille, bis hin zu den schlanken Fesseln, die in gefährlich hoch aussehenden Riemchen-Stilettos steckten und wieder nach fast oben. Zum Busen, der vom sexy schwarzen Designer-Kleid betont wurde.
»1,76 cm«, unterbrach Johanna die Gedanken von Philipp van Bergen und versuchte ihn genauso neutral zu behandeln wie jeden anderen Kunden. Mit dem einzigen Unterschied, dass er definitiv der Letzte wäre. Sie hatte das mit ihrem Agenten lang und breit besprochen. Sie hatte sich nicht nur ihr Studium als Hostess der besonderen Art finanziert, sondern über die Abendgesellschaften und nächtlichen Tête-á-têtes auch wertvolle Kontakte geknüpft. Nun, da sie ihren Master hatte und als PR-Profi durchstarten würde, wäre Schluss damit. Nur noch das Wochenende bei den van Bergens in Potsdam und am Montag, nach dem Vertragsschluss mit der Bank, wäre sie dann offizielle Inhaberin von JoPress und würde der Hauptstadt zeigen, was gute PR alles konnte. Endlich!
»1,76 cm«, wiederholte Johanna selbstbewusst. »So steht es in meiner Sedcard. Willst du nachmessen?« Sie streckte demonstrativ ihren Rücken durch und funkelte den Mann vor ihr an. Sie war alles andere als ein Zwerg, zierlich vielleicht, aber kein Püppchen! Wenn, dann waren die van Bergens eher etwas zu groß geraten, was in so ziemlich jedem Frauenmagazin weltweit bereits bis ins Kleinste analysiert worden war.
»Nein, natürlich, komm rein!« Philipp konnte sich ein Grinsen gerade so verkneifen. Vielleicht war sie nicht ganz die Begleitung, die seine Mutter im Kopf hatte, als sie ihren Geburtstagswunsch geäußert hatte. »Ich möchte deinen Bruder Roman einmal nur während meines Geburtstagswochenendes in Begleitung einer Frau sehen. Und er sollte es besser genießen!« Aber Johanna May wäre mit diesem entzückenden, schnellen Mundwerk die Richtige, um die Langweiler in der Familie aus ihrem Winterschlaf aufzuwecken. Allen voran, seinen Bruder. Er war ehrlich gesagt etwas neidisch.
So selbstsicher wie möglich schritt Johanna an Philipp vorbei ins Warme des Gebäudes und zog ihren bis dato halb offenen Mantel nun gänzlich aus. Sie versuchte beim Anblick der Empfangshalle nicht in Ohnmacht zu fallen. Sie war einiges an Reichtum gewohnt. Die van Bergens stellten das mühelos in den Schatten. Wände mit Edelsteinen und Diamanten, Kronleuchter so groß wie Johannas Wohnzimmer zu Hause! Das Licht fiel funkelnd auf antike Kunst, virtuos handgeknüpfte Teppiche und einen Mosaikfußboden, der unmöglich abbilden konnte, was sie dachte, was er zeigte. Sie blinzelte ungläubig.
»Dionysus«, erklärte Philipp trocken, der ihrem Blick gefolgt sein musste, und ergänzte häppchenweise: »Mit Persephone. Und Aphrodite.«
»Natürlich«, lächelte Johanna zuckersüß und trat zielsicher mitten ins Zentrum des antiken Dreiers.
Philipp sagte dazu dankbarerweise nichts. »Mein Bruder arbeitet noch. Wie immer«, erklärte er. »Sorg einfach dafür, dass er spätestens um 21 Uhr bei den Gästen ist. Mutter wird es dir danken.«
Als hätte sie das nicht bereits x-mal gemacht, folgte Johanna mit ungesundem Herzklopfen und klackernden Absätzen dem Milliardär quer durch die Empfangshalle über eine weitläufige Treppe in die Beletage — vorbei an zahlreichen erotischen Akten, für die Ewigkeit in Marmor gebannt. Frau Mama hatte einen verblüffend schamlosen Geschmack.
Während Johanna so schnell wie auf den Highheels möglich hinter ihrem Auftraggeber herlief, zwang sie sich, im Kopf weitere Fakten ihrer Blitzrecherche zu den van Bergens abzurufen. So wie Philipp sein charmantes Lächeln in jede Kamera hielt und das Vermögen der Familie nach besten Kräfte minimierte, so bekamen die Paparazzi von seinem älteren Bruder Roman van Bergen, wenn überhaupt, dann nur den Rücken vor die Kamera. Ein Riesenrücken, wie sie sich eingestehen musste, der jedem Fotografen sofort ein Vermögen einbrachte. Mehr nicht. Keine Eskapaden, keine Statements und keine Infos, was er den ganzen Tag trieb. Nichts. Roman würde immer nur arbeiten. Das war das Einzige, worin Einigkeit herrschte.
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