064 - Das Steckenpferd des alten Derrick
muß. Der Verdacht, daß ›Cleave‹ verrückt sei, war es ja auch, der ihn vor dem Galgen gerettet hatte.
Drei Monate plante und intrigierte der Gefangene, um endlich in einer stürmischen und gewitterschweren Nacht die Flucht zu wagen. Sie gelang. Es dauerte fünf Monate, bis er Kapstadt erreichte. Völlig erschöpft, nach einer entsetzlichen Flucht durch Busch und Wüste, fand er sich eines Nachts in einem herrlichen Garten und sank bewußtlos auf der Freitreppe der Villa des einzigen Mannes nieder, der überhaupt imstande war, ihm zu seinem Recht zu verhelfen.
Mary de Villiers hatte ihn gefunden. Sie war Pflegerin in einem Krankenhaus der Hauptstadt gewesen und hatte ihren Beruf auf Wunsch des Vaters aufgegeben, um ihm in seinem Geschäft zu helfen.
De Villiers hatte sich als Privatdetektiv selbständig gemacht und war nach und nach wegen seiner Erfolge bekanntgeworden. Er war früher in Kimberley Inspektor der Kriminalpolizei gewesen, hatte aber den Staatsdienst schon verlassen, als seine Töchter noch klein waren.
Man schaffte den Bewußtlosen ins Bett. De Villiers wollte einen Krankenwagen kommen lassen, um ihn ins Hospital zu bringen, aber Mary bat ihn, davon abzusehen.
Vier Tage vergingen, bis der Kranke seinen Rettern die Geschichte seiner Leiden erzählen konnte. Henry stand den Schilderungen seines Gastes anfangs skeptisch gegenüber, bekehrte sich aber dann zu Mary s Ansicht, die mit weiblichem Instinkt sofort die Glaubwürdigkeit des Erzählten erkannt hatte. Ein einziges Mittel gab es, dem um seinen Namen und sein Erbe Betrogenen zu seinem Recht zu verhelfen: Das Buch mußte gefunden werden, in dem sich die Fingerabdrücke des jungen Walter Derrick befanden. Der Sohn wußte, daß es der Vater irgendwo an einem verborgenen Ort, wo er auch seine Familienpapiere aufzubewahren pflegte, versteckt hatte. Wenn der falsche Walter Derrick das Versteck gefunden hatte, dann mußte jede Aussicht auf eine Wiedereinsetzung des wirklichen Erben fallengelassen werden. De Villiers ließ sich die Sache durch den Kopf gehen und begann, unter der Hand in London Erkundigungen einzuziehen. Er begab sich auch auf den Schauplatz des Raubmordes, für den Walter verurteilt worden war, und entdeckte, daß ein Cleave tatsächlich existiert hatte. Er folgte den Spuren des Mörders bis Kapstadt.
Eines Abends setzte sich de Villiers ans Bett des Kranken.
»Ich will einen Versuch wagen«, sagte er. »Der Arzt hat mir sowieso einen Erholungsurlaub verordnet, und ich glaube, Ihr Fall wird für mich die beste Erholung sein. Die Sache wird mich fünftausend Pfund kosten und uns vielleicht alle ins Gefängnis bringen. Aber - falls ich Erfolg habe, beträgt mein Honorar fünfzigtausend Pfund. Wenn nicht, kostet es Sie keinen Penny.«
Auf diese Weise wurde der denkwürdige Vertrag abgeschlossen. Sie reisten alle zusammen nach England und wählten auf Anregung Marys die Maskerade mit dem Krankenstuhl. Damit wurde erreicht, daß Walter Derrick eine nur passive Rolle dem Publikum gegenüber spielen mußte und gleichzeitig sämtliche Mitspieler beisammenbleiben konnten. Jane, ein Jahr jünger als Mary, sollte als Nachtschwester fungieren und als Marys Doppelgängerin auftreten. »Sie war mein ewiges ›Alibi‹«, versicherte Mary. »Wann immer ich in London zu tun hatte, sorgten wir dafür, daß sie fünfzig Meilen weiter weg bestimmt gesehen wurde. Sie war es, die auf dem Maskenball in Brighton tanzte, und ich traf erst kurz vor Dick dort ein. Arme Jane! Sie haßte das Doppelspiel. Von Natur aus schon Hasenfuß genug, komplizierte sie die Sache noch dadurch, daß sie sich in Tommy verliebte. Ja, ihr Ring war es, den du an meiner Hand sahst, Dick. Nun kennt auch der arme Lord den Grund, warum seine Braut tagsüber so kalt und abends so lieb zu ihm war. Ich habe Tommy ganz gern, kann es aber durchaus nicht leiden, wenn er mich tätschelt. Armer Junge, er war tief gekränkt.« Sie lachte und schmiegte sich in Dicks Arm. »Den genauen Zeitpunkt, zu dem Lavinsky Verdacht gegen uns schöpfte, kann ich nicht angeben. Ich glaube, jemand hat ihm etwas über das ›Familienalbum‹. . .«
»Der alte Endred war es, der ihm das mitteilte«, warf Dick ein.
»Vielleicht hatte er auch Walter Derrick im Krankenstuhl erkannt«, sagte Mary. »Oder er hat nach Kapstadt gekabelt, um über uns Erkundigungen einzuziehen. Möglich auch, daß ihm Lordy Brown Bescheid gesagt hat.« »Du hattest Lordy Brown gefunden?«
»Ja, er lag sterbend in Derricks
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