064 - Der Frauenhexer
hatte.
Sie holte ein metallenes Gefäß aus der Burg, schlüpfte durch eine kleine Mauerpforte und lief durch die helle Vollmondnacht zu der bezeichneten Stelle. Kurz vor Mitternacht erreichte sie die Quelle hinter dem Wegkreuz.
Von der Stadt her hallten die Schläge der Turmuhr. Zwölf mal. Der Schatten des Kreuzes lag im Mondlicht auf dem silbrig glänzenden Wasser. Wie dunkle Schemen hoben sich Bäume und Sträucher vom fahlen Nachthimmel ab.
Roxane schöpfte das Wasser aus der Quelle.
Sie machte sich auf den Rückweg zur Burg, riß unterwegs einen Zweig ab, den sie zum Versprengen des Wassers benutzen konnte. Gegen vier Uhr morgens erreichte sie die Burg.
Gilbert Signefeu trat ihr entgegen, als sie durch die Mauerpforte kam.
„Wo warst du? Und was hast du da?“
Roxane tauchte den Zweig ins Wasser, besprengte den Hexer.
„Verflucht sollst du sein, Gilbert Signefeu, für alles, was du mir und den Menschen angetan hast. Ich hasse und verachte dich, du Scheusal.“
Der Hexer stieß einen heiseren Schrei aus. Er wollte auf Roxane stürzen, doch als sie den vom Wasser benetzten Zweig nach ihm ausstreckte, wich er zurück.
Signefeu schrie Beschwörungen, Verdammungen und Zaubersprüche, doch es geschah nichts. Als die Hexen und Knechte auf seine Rufe herbeikamen, besprengte Roxane auch sie mit dem Wasser. Aufschreiend wich die dämonische Meute zurück.
Elf Hexen flohen auf ihren Besen, nahmen drei der Soldaten mit. Die anderen und der Mann mit dem Feuermal umlauerten Roxane, wagten sich jedoch nicht an sie heran, weil das Wasser sie brannte wie höllisches Feuer.
Roxane befreite einen jungen Mann, den die Höllenbrut als nächstes Opfer vorgesehen hatte. Gemeinsam öffneten sie das Burgtor, entrollten eine weiße Fahne.
Signefeu wußte, daß sein Spiel verloren war. Er, der sich immer auf seine Zauberkräfte verlassen hatte, verspürte zum erstenmal seit seiner Kindheit Angst. Während die Soldaten und Knechte Arkebusen holten, um Roxane und den jungen Mann zu erschießen, floh der Hexer von der Burg. Er wollte bei den Spessarträubern Zuflucht suchen, mit denen er paktierte.
Daraufhin gaben auch die andern auf und suchten ihr Heil in der Flucht. Gilbert Signefeu, die beiden Hexen und vier der Anhänger des Hexenmeisters wurden von den Belagerern gefaßt. Drei Männer und die alte Dienerin entkamen.
Am Nachmittag des gleichen Tages fand die Gerichtsverhandlung statt. Sie war kurz. Herzog Albrecht und die Richter verurteilten die männlichen Gefolgsleute des Hexers zum Tod durch das Schwert, die weiblichen zum Tod durch das Feuer. Gilbert Signefeu sollte lebendig in der Gruft unter dem Galgenwirtshaus eingemauert werden.
Der Herzog verbot, von dem Hexengericht und den Schreckenstaten des Hexers und seiner Anhänger der Nachwelt zu berichten. Natürlich wurden trotzdem heimlich Aufzeichnungen gemacht, aber sie waren von vornherein unvollständig.
Gottfried von Falkenfels, Roxanes eigener Bruder, sagte, vom Haß verblendet, gegen sie aus. Auch Roxane sollte auf dem Scheiterhaufen sterben, wie die beiden Hexen. Da sie jedoch gegen Gilbert Signefeu gekämpft hatte, gewährte der Herzog ihr die Gnade, erdrosselt zu werden, ehe der Scheiterhaufen entzündet wurde. Auf Roxanes eindringliche Bitten hin wurde der Mörtel, der für das Zumauern von Signefeus Gruft verwendet werden sollte, mit jenem Wasser versetzt, das Signefeus Zauberkraft gebrochen hatte.
Roxane sah zu, wie der Hexer eingemauert wurde. Seine Flüche und Verwünschungen schallten aus der Gruft. Als nur noch eine kleine Öffnung übrig war, in die der letzte Stein eingefügt werden sollte, reckte Gilbert Signefeu noch einmal die Hand aus der Gruft.
„Ich werde wiederkommen“, schrie er. „Ihr könnt mich nicht töten. Ich werde mich schrecklich rächen.“
Ein Schauer überlief das weißhaarige junge Mädchen.
„Verflucht sollst du sein, Signefeu! Für alle Zeit soll Feindschaft sein zwischen dir und mir.“
Der letzte Mauerstein wurde in die Öffnung gefügt, verschloß die Gruft des Hexers.
Die Sonne schien, die Vögel zwitscherten. Thorsten Thorn erwachte neben Linda. Es klopfte an der Tür.
„Linda! Linda! Der Regisseur will Sie und Thorsten sprechen.“
Auch Linda öffnete die Augen, wußte im ersten Moment nicht, wo sie sich befand.
„Ich komme gleich“, rief sie dann.
Thorn zog den Rolladen hoch. Helles Sonnenlicht flutete ins Zimmer.
„Heute nacht habe ich ebenfalls geträumt“, sagte Thorn. „Von
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