064 - Der Frauenhexer
über den Toten, ergriff sein Handgelenk.
„Die Leichenstarre hat bereits eingesetzt. Der Mann kann schon ein oder zwei Tage hier liegen. Es ist feucht und kühl, da setzt die Verwesung nicht so schnell ein. Verletzungen kann ich auf den ersten Blick keine erkennen. Jemand soll einen Arzt holen.“
Der Arzt, ein grauhaariger, rotnasiger Mann, kam eine halbe Stunde später. Die Dreharbeiten waren inzwischen unterbrochen. Schultz-Breitenberg addierte bereits die Kosten, die diese Verzögerung verursache würde. Er fluchte leise
Der Arzt untersuchte den Toten.
„Achtundzwanzig bis sechsunddreißig Stunden tot. Keine Verletzungen feststellbar. Bleibt die Frage, was er hier zu suchen hatte.“
„Woran ist er gestorben, Doktor?“
Der Arzt zuckte mit den Schultern.
„Herzschlag. Wenn man sein verzerrtes Gesicht sieht, dann möchte man sagen, das Herz ist ihm vor Schreck stehengeblieben.“
Zwei Stunden später wurde der Tote abtransportiert. Auch die Polizei war zur Stelle, denn es handelte sich nicht um einen alltäglichen Todesfall. Der Polizeihauptmeister aus der nahen Kleinstadt sprach mit den Arbeitern, die den Toten gefunden hatten, und mit dem Regisseur.
„Was sollten denn die Arbeiter hier? Wollen Sie hier unten auch drehen?“
„Natürlich“, antwortete Schultz-Breitenberg. „Eine so echte Staffage finden wir nicht wieder. Ein paar Hexen – und Folterszenen spielen hier, da die Gewölbe der Burg nicht zugänglich sind.“
Der Polizeihauptmeister überlegte. Er schien dem Regisseur etwas sagen zu wollen, schwieg dann aber. Als er die eingestürzte Mauer sah, die enge Zelle, schrak er zusammen. Er leuchtete mit der Taschenlampe den Raum ab. Dann hatte er es eilig, hinaus ins Freie zu kommen.
„Viel läßt sich im Augenblick nicht sagen“, sagte er zu Schultz-Breitenberg und Thorsten Thorn. „Ein natürlicher Tod. Die Frage ist nur, was der Tote in den unterirdischen Gewölben des verrufenen Galgenwirtshauses zu suchen hatte. Die Angelegenheit wird weiterverfolgt.“
Der Polizeihauptmeister war schon im Begriff, in den Streifenwagen einzusteigen. Da fragte ihn der Regisseur: „Warum ist das Galgenwirtshaus verrufen?“
Unwillkürlich senkte der Polizist die Stimme, als er sagte: „Manche behaupten, es spukt hier.“
„Schöne Gegend“, sagte Schultz-Breitenberg sarkastisch. Er erwähnte das Zwischenspiel in der vergangenen Nacht im Hotel mit keinem Wort. „Es spukt, Tote werden gefunden, Verrückte laufen frei herum.“
Der Streifenwagen fuhr ab. Schultz-Breitenberg scheuchte die in Gruppen umherstehenden Darsteller und Mitglieder des Drehstabes an die Arbeit. Die Unterbrechung hatte die Laune des Regisseurs nicht verbessert. Am frühen Morgen schon hatte er versucht herauszubekommen, wer für den makabren Spuk in der Nacht verantwortlich war, doch ohne Erfolg. Heute würde er sie alle herumhetzen, daß ihnen nachts die Lust zu spuken verging.
„An die Arbeit, Herrschaften, Zeit ist Geld. Wir könnten schon wieder drei Szenen im Kasten haben.“
In einem für sie hergerichteten Zimmer des alten Wirtshauses traf Linda Scholz die letzten Vorbereitungen für ihren Auftritt. Der Maskenbildner war gerade gegangen. Linda versuchte, sich auf ihre Rolle zu konzentrieren, doch ihre Gedanken schweiften immer wieder ab.
Kein Wunder bei den Geschehnissen der letzten vierundzwanzig Stunden!
Es klopfte an der Tür.
„Ihr Auftritt, Linda“, hörte sie die heisere Stimme von Max, dem Mädchen für alles.
Linda wollte aufstehen, doch sie konnte nicht. Ihr war, als verschwimme ihr Bild im Spiegel. Ein kalter Hauch streifte ihren Nacken, und eine Stimme sagte: „Roxane, du bist zurückgekommen.“
Linda zwang sich, den Kopf zu wenden. Sie sah sich im Raum um. Es war niemand da. Ihr Blick schweifte über die Wände, an die ein paar Fotos und Filmplakate geheftet worden waren, ihre Kostüme auf der Kleiderstange, einige Utensilien des Maskenbildners, des Friseurs und der Kostümgestalterin. Daneben lag das Drehbuch mit dem Titel:‚ Das Galgenwirtshaus’.
Energisch schüttelte Linda den Kopf. Sie erhob sich, wollte zur Tür gehen.
Da hörte sie wieder dieselbe Stimme: „Roxane!“
Sehnsucht und Verlangen klangen in dem Wort. Linda Scholz rannte aus dem Zimmer, aus dem alten Wirtshaus. Sie lief in den Regisseur hinein. Er hielt sie an den Schultern fest.
„Na, na, Sie sind ja ganz bleich, Linda. Was ist denn?“
„Irgend etwas … irgend jemand ist da drin,
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