0641 - Geisterbahn
gesetzt, grinste, hörte zu, wie Tanner flüsterte, was bei ihm selten genug vorkam, schließlich legte er den Hörer auf und schaute mich an.
Er lächelte, doch seine Augen lächelten nicht mit. Sie zeigten einen harten, möglicherweise auch traurigen Ausdruck. Er gefiel mir nicht. Wenn Tanner so schaute, war zumeist was im Busch.
»Immer die Familie«, knurrte er und klemmte die erloschene Zigarre zwischen seine Lippen, ohne sie anzuzünden. Ich hatte ihn nur ganz selten rauchen sehen.
»Was gab es denn da für Probleme?«, fragte ich.
»Meine Frau hatte Geburtstag. Jetzt feiert sie mit Freundinnen, Klatschbasen und Nachbarinnen nach. Sie wollte, dass ich da ebenfalls erscheine. Da hat sie sich geschnitten. Das wäre der Wahnsinn hoch vier gewesen. Dann lieber in einer Zelle sitzen und vor sich hin schmachten.« Mit der Hand fegte er Asche vom alten Holz der Schreibtischplatte und strich den Stoff seiner Weste glatt.
»Du hast Probleme, Tanner!«
»In der Tat, John.«
»Welche?«
»Es geht um Mord. Das Opfer heißt Linc Frazer, ist einundzwanzig Jahre alt und starb auf eine Art und Weise, die mich geschockt hat. Ich bin überfragt.«
»Wo ist der junge Mann?«
»Die Leiche liegt noch im Gerichtsmedizinischen Institut. Du wirst mit ihr kaum etwas anfangen können.« Tanner schob Papiere zur Seite und starrte für einen Moment brütend vor sich hin. »Darum geht es nicht. Wir haben eine Zeugin, John. Mit der solltest du reden.«
»Okay - wer?«
»Tina Averno. Achtzehn ist sie.«
»Wo kann ich sie finden?«
»Bei uns.«
»Steht sie unter Schock?«
Tanner stemmte sich in die Höhe. »Sie stand unter Schock. Sie hat Glück gehabt, rannte in wilder Panik auf die Straße und lief glücklicherweise einem Bobby in die Arme. Der fing sie ab, brachte sie aufs Revier und hörte sich als Erster ihre Aussagen an. Alles andere kannst du dir denken. Wir untersuchten den Toten und fanden die Aussagen des Mädchens bestätigt. In der Halswunde des Mannes tummelten sich tatsächlich silbrig schimmernde Würmer oder Silberfische. Die war gefüllt damit. Und diese Tiere hatten es sogar geschafft, die Wunde zu vergrößern, indem sie sich tiefer hineinbissen.«
Ich hatte zugehört und war nicht eben begeistert. »Das ist kein Irrtum, Tanner?«
»Nein, John, ich sah es selbst.«
»Hast du nach dem Grund geforscht?«
»Das wollte ich. Es muss ein Motiv geben.« Er hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Du kannst dir denken, dass wir ins Leere gelaufen sind. Da war nichts zu machen. Tina Averno konnte nicht aussagen. Sie stammelte wohl etwas von einem Mann mit einem Schwert und einem schrecklichen Gesicht.«
»Sonst nichts?«
»Leider nein.«
Ich räusperte mich, legte die Stirn in Falten, schaute zu Boden und wusste keine Frage mehr. Tanner legte mir seine Hand auf die Schulter. Er schob mich in Richtung Tür. »Lass uns gehen, John. Das Mädchen wird hoffentlich deine Fragen beantworten können. Ich habe schon mit ihren Eltern gesprochen. Die Angehörigen des Toten konnten wir nicht benachrichtigen. Sie leben getrennt und nicht in London.«
Wir fanden eine junge Person vor, die in einer Zelle für Schutzhaft an einem Tisch saß und auf die Platte schaute. Den Blick ins Leere gerichtet, die Augen rot vom Weinen, das dunkle Haar durcheinander. Als wir eintraten, schaute Tina Averno kaum auf.
Tanner sprach auf sie ein und stellte mich auch vor. Ob sie meinen Namen überhaupt registrierte, war fraglich.
Tanner saß nahe bei ihr. Ich hatte mich ein wenig zurückgezogen und hockte an der Tür.
»Kannst du denn jetzt darüber reden, Tina?«, fragte Tanner mit einer so weichen Stimme, wie ich sie selten bei ihm gehört hatte. »Es ist wirklich wichtig.«
Sie runzelte die Stirn, blickte weiterhin auf den Tisch und meinte flüsternd: »Das ist alles nicht so einfach, Mr. Tanner. Man - man wird es nicht glauben.«
»Wir aber wollen es.«
»Und dann?«, fragte sie flüsternd. »Was geschieht dann? Ist dann alles beendet?«
»Wahrscheinlich nicht. Aber wir könnten dafür sorgen, dass es beendet wird, Tina.«
»Ich war ja nicht dabei.«
»Aber dein Freund hat dir doch alles erzählt, oder etwa nicht?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß wirklich nicht, ob er mir alles erzählt hat.«
»Deine Aussagen werden reichen, Tina. Bitte!«
Ich musste dem Chiefinspector ein Kompliment machen. So wie er mit dem Mädchen umging, war das schon perfekt. Er sprach sehr ruhig auf Tina ein und schaffte es tatsächlich, sie
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