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0641 - Grabgesang

0641 - Grabgesang

Titel: 0641 - Grabgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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etwas, das von innen kam. Seine unstete Zigeunerseele schien im 17. Jahrhundert einen anderen Weg gehen zu wollen als im 20.
    Einen dunkleren Weg.
    Ihr gegenüber zeigte deDigue das nicht offen. Er war freundlich, zuvorkommend, ein Kavalier alter Schule. Dabei versuchte er nicht ein einziges Mal, sich ihr zu nähern und ihre Lage auszunutzen. Daß er als Mann ohnehin nicht in ihrem Bett landen konnte, weil sie Frauen vorzog, ahnte er in dieser Zeit nicht einmal.
    Und nun war er fort. Er wollte den großen Fluß hinauf nordwärts, hatte er gesagt. Hatte seine Sachen gepackt und war gegangen.
    Eva hatte erst gar nicht gefragt, ob sie ihn begleiten dürfe. Sie wußte, er hätte auf jeden Fall abgelehnt. In dieser Epoche war er ein Kind seiner Zeit, und in den Vorstellungen der Menschen war die Wildnis nichts für Frauen. Zu gefährlich, zu strapaziös. Und in dieser Wildnis mußten dann die Männer nicht nur auf sich selbst, sondern auch noch auf die Frauen aufpassen…
    Daß Frauen auch ganz gut auf sich selbst aufpassen konnten, würde sich auch noch lange nicht durchsetzen. Dagegen ließ sich einfach nichts machen.
    So blieb Eva im Fort zurück, zu dem deDigue sie gebracht hatte, nachdem Zamorra und Nicole in die Gegenwart zurückgekehrt waren. DeDigue hatte ihr nicht einmal eine Wahl gelassen; er hatte sie einfach mitgenommen.
    Die Alternativen hätten allerdings darin bestanden, entweder allein weiter durch die Landschaft zu streifen, völlig auf sich selbst gestellt, oder sich dem schrulligen Don Cristofero und seinem gnomenhaften Faktotum anzuschließen. Aber der dicke Spanier war eine Nervensäge, und der Gnom ein Tolpatsch, der von einer Katastrophe in die andere tappte. Zudem war er ein Magier, und Eva befürchtete, daß ihr Unterbewußtsein ihm seine Magie entreißen könne.
    Das war das letzte, was sie wollte.
    Eine dritte Möglichkeit kam erst recht nicht in Frage: sich den Indianern anzuschließen. Deren Lebensweise behagte ihr ganz und gar nicht, zumal sie dann auf Gedeih und Verderb Sitten und Gebräuchen unterworfen worden wäre, die sie nicht anzunehmen bereit war. Die Riten und Tabus der Ureinwohner dieses Landstrichs waren nicht ihr Fall, und die Lebensweise war ihr zu rustikal. Sie hätte zuviel lernen und sich zu sehr anpassen müssen. Außerdem wäre sie ein absoluter Fremdkörper gewesen. Die Indianer begannen erst allmählich damit, sich an die Nähe hellhäutiger Fremder zu gewöhnen, und sie hatten mit anderen hellhäutigen Fremden, den spanischen Eroberern, böse und blutige Erfahrungen gemacht, waren deshalb allen Weißen gegenüber sehr skeptisch.
    Deshalb war sie mit deDigue gegangen, zurück zum in Küstennähe liegenden Fort. Dort entstand eine Ansiedlung, aber in der mochte sie auch nicht auf Dauer wohnen. Der Seehafen, nach Vorstellungen des 20. Jahrhunderts eher ein Provisorium, war schon recht gut frequentiert. Die bereits zahlreichen Schiffe spien immer wieder rauhbeinige Matrosen und widerwärtige Sklavenhändler aus, mit denen sie nichts zu tun haben mochte. Es gab ein paar Dutzend Frauen, die ihren Körper an die Seeleute verkauften, und die wiederum gingen davon aus, daß praktisch hinter jedem leidlich hübschen Gesicht eine Hure steckte - die sogenannten ›anständigen‹ Frauen waren bei weitem in der Minderzahl und bewegten sich auch selten ohne männliche Begleitung in der Öffentlichkeit.
    Aber Eva hatte keine ständige männliche Begleitung parat, nachdem deDigue fort war. Da fühlte sie sich im Fort sicherer, unter dem Schutz der Soldaten. Mit dem Kommandanten hatte deDigue vorher noch einiges beredet; Eva hatte den Eindruck, daß der Abenteurer nicht nur das war, was er zu sein vorgab, sondern auch den Soldaten und Offizieren dieses Postens weisungsberechtigt. Einige Male hatte sie inzwischen den Kommandanten darauf anzusprechen versucht, aber er war ihren Fragen immer rasch ausgewichen.
    Doch er schien den Befehl erhalten zu haben, Eva in jeglicher Hinsicht entgegenzukommen, ihr zu helfen, sie zu unterstützen, sie zu schützen.
    Das war mitunter recht hilfreich, zuweilen aber auch lästig, wenn abkommandierte Soldaten etwas zu eifrig werden wollten.
    Eva mußte von hier verschwinden. Fort von diesem Vorposten der Zivilisation - dorthin, wo es sich einfacher und menschenwürdiger leben ließ. Dieses französische Territorium war nicht ihr Fall. Für sie war es besser, an der Ostküste zu leben, weiter oben im Norden. Vielleicht bei den Engländern. Aber das konnte sie

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