065 - Corrida der Dämonen
aber all das, was
sie gehört hatte, widersprach einfach so sehr dem Wesen und der Handlungsweise
Hathlys, daß sie so seltsame Gedankengänge verfolgten.
Oder aber sie kannte Bill Hathly überhaupt nicht! Das
bedeutete, daß ihr Chef die zwei Jahre hindurch eine Maske zur Schau getragen
hatte, daß er eigentlich ein ganz anderer war als der, für den man ihn hielt.
Mary Dawson stand mitten in dem dämmrigen Zimmer. Die zum
Hinterhof führenden winzigen Fenster ließen kaum Tageslicht herein. Hier war es
immer düster und kühl.
Die Sekretärin fröstelte.
Alles war sauber und ordentlich aufgeräumt. Man konnte
sich schlecht vorstellen, daß die alte Mestizin von unten hier Hand angelegt
hatte.
Mary Dawson machte einen schnellen Schritt zum
Kleiderschrank und öffnete die Tür. Sie hatte nicht damit gerechnet, daß dies
mit der Erzeugung eines Geräuschs verbunden sein würde. Die Scharniere
quietschten, daß es durch das ganze Haus drang.
Mary Dawson wurde stocksteif.
Hoffentlich hatte die Mestizin unten nichts gehört, das
wäre ihr peinlich gewesen.
Der Schrank war leer. Nicht ein Kleidungsstück hing
darin.
Mary Dawson drückte rasch die Schranktür wieder zu.
Ramona war gestern ausgezogen. Es stimmte! Und mit ihr –
Bill Hathly?
Sie ging zur Tür, verharrte plötzlich in der Bewegung. Da
war ein Duft, den sie kannte!
Er war so typisch, so einmalig, daß sie den Geruch sofort
mit einer bestimmten Person in Verbindung brachte.
Chinese Flower! Das Rasierwasser von Bill Hathly! Niemand
sonst benutzte es. Es war zu selten, zu kostbar. Hier in Mexiko kannte man es
überhaupt nicht. Hathly bezog es von einem chinesischen Friseur aus Hongkong,
der das Wasser selbst herstellte.
Mary Dawson fing an zu schnuppern wie ein Hund.
Der Geruch haftete an den handgewebten Bezügen der
Kissen.
Bill Hathly hatte hier auf dem Sofa gelegen.
Der Duft des Rasierwassers hielt zwar einige Stunden an,
aber er überdauerte nicht Tage.
Bill Hathly mußte heute morgen, zumindest aber noch in
der Nacht, in diesem Zimmer gewesen sein!
Dicht vor dem Sofa hatte Mary das Gefühl, Bill Hathly
stünde direkt vor ihr, sie könne ihn bloß nicht sehen.
Mary Dawson verließ das Zimmer. Unten in der Küche meinte
sie zur alten Rosana: »Wann eigentlich ist Ramona ausgezogen?«
»Gestern mittag, gleich nachdem sie aus dem Geschäft
gekommen ist«, lautete die Antwort.
»Und sie war allein?«
»Nein, sie hatte ein paar Freunde dabei, die ihr
behilflich waren, ihr persönliches Eigentum wegzubringen. Die Möbel sollen
später abgeholt werden. Sie hat nur .das mitgenommen, was sie am notwendigsten
braucht.«
»Der Umzug kam ganz unerwartet?«
»Ja, Señora«, nickte die Alte. »Ramona kam und sagte, sie
ginge weg. Das war alles.«
»Kein Ton davon, wohin sie zog?«
»Nein.«
»Befand sich in ihrer Begleitung ein Amerikaner, den sie
vielleicht Bill nannte?«
»Nein, gestern nicht.«
»Er war also nicht im Haus?«
»Nein.«
Mary Dawson wußte nicht, was sie davon halten sollte. Es
hatte keinen Sinn, länger zu bleiben. Die Taxirechnung wurde immer höher.
Außerdem hatte sie mit ihrem Besuch nicht das geringste bezweckt.
Im Gegenteil! Alles war noch verworrener und rätselhafter
geworden.
Als sie im Taxi saß und sich in die City zurückbringen
ließ, ging ihr alles noch mal durch den Kopf.
Die Mestizin hatte gelogen! Bill Hathly mußte mit Ramona
zur gleichen Zeit hier gewesen sein.
Aber das stritt Rosana Getaboje ab.
Im Büro der »Overseas Corporation« angekommen, zögerte
Mary nicht mehr länger, mit ihrem Wissen hinter dem Berg zu halten.
Sie zog den neuen Chef Fred Hogan ins Vertrauen.
Daraufhin wurde die Polizei eingeschaltet.
Am späten Nachmittag gab es noch immer keine Spur. Weder
von Ramona Charreda noch von Bill Hathly.
Die Polizei schloß ein Verbrechen nicht aus, wußte aber
nicht, wo sie nachhaken sollte. Es gab keine Spuren.
Weder von Ramona noch von Hathly. Und die alte Mestizin
wußte von alledem nichts.
●
Um 16.27 Uhr landete eine viermotorige Maschine der Quantas-Fluggesellschaft
in Mexico City.
Um 18 Uhr waren alle Formalitäten und auch die Anreise
zum Hotel Teotihuacan erledigt, und die blonde, attraktive junge Frau erreichte
endlich ihr Ziel.
Die Reise von New York nach Mexiko hatte genau
viereinhalb Stunden gedauert.
Die grünäugige Nixe mit der Mannequinfigur wirkte frisch
und ausgeruht, als sie an der Reception ihren Paß vorlegte.
»Morna Brent«, sagte der diensthabende
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