0663 - Das Unheil erwacht
geblieben.
Dieser Mann bot ein furchtbares Bild. In seinem Gesicht stand der Tod wie eingezeichnet.
Jade hatte bisher nur eine Leiche in ihrem Leben gesehen. Das war ihr Vater gewesen nach dem Autounfall, der ihre Mutter das Augenlicht gekostet hatte. War der Mann tot? Sie wollte es genau wissen und tastete mit der Hand dorthin, wo normalerweise das Herz schlägt Sie fühlte auch an der Aorta nach, das hatte sie mal in einem Film gesehen.
Eigentlich hätte sie sich erschrecken müssen, der Tod war immer etwas Furchtbares, aber dieses Gefühl blieb aus. Plötzlich ging sie mit dem Tod und den Begleitumständen völlig normal um, als hätte sie so etwas schon erlebt.
Er lebte nicht mehr. Er war nur noch eine Hülle, ohne Blut, ausgesaugt, völlig leer. Da gab es nichts mehr, was diesen Mann noch am Leben erhalten konnte.
Allmählich begann sie wieder zu denken, und zwar nachzudenken. Der Mann war gestorben, daran gab es nichts zu rütteln. Die Kugel oder das Ei hatte ihn umgebracht und nicht die Person, die jetzt neben ihm kniete und auf ihn herabstarrte. Nur - wer würde ihr das glauben? Wenn sie zur Polizei ging und den Beamten dort erklärte, was tatsächlich vorgefallen war, würden die sie nur auslachen, dann bestimmt einsperren, wenn sie sich mit der Leiche beschäftigt hatten. In den Knast wollte sie nicht. Da hatte sie einen wahnsinnigen Horror davor. Was kam also sonst in Frage?
Nichts sagen, nichts wissen, die Leiche möglichst verstecken, denn Deckung und Büsche gab es hier genug, hinter denen der Tote seinen Platz finden konnte.
Ja, das war die Lösung! Bevor sie sich an die makabre Arbeit begab, schaute sie kurz zurück. Die »Mordwaffe« lag völlig harmlos auf der Erde. Kein Blutspritzer oder Blutstropfen klebte noch an der Außenhaut des Eis. Sie war völlig glatt und lichterfüllt. Das Ei hatte das Blut verdaut.
Als Jade daran dachte, huschte ein Lächeln über ihre Lippen. Sie freute sich darüber, dass ihr Fund spurenlos »gearbeitet« hatte. Innerhalb kürzester Zeit war sie innerlich zu einer völlig anderen Person geworden.
Sie sah noch aus wie sonst, aber ihre Psyche hatte sich verändert. Jetzt dachte sie anders als früher.
Obwohl der Körper kein Blut mehr besaß, wunderte sie sich über die Schwere. Jade musste sich anstrengen, um den Mann vom Pfad weg an den Wegrand und in ein Gebüsch zu zerren, wo Zweige und krumme Farne so dicht standen, dass sie sich wie ein Fächer über den Körper der Leiche ausbreiten konnten.
Das war erledigt, und Jade atmete tief durch.
Sie stand wieder auf, rieb ihre Hände am Mantel ab, schaute nach, ob sich dort auch keine Blutflecken abzeichneten, war zufrieden und wandte sich dem Blutei zu.
Sie hob es an. Dabei trat in ihre Augen ein gewisser Glanz, den man auch mit Triumph umschreiben konnte. Es war für sie einfach wunderbar, als Siegerin dazustehen. Früher war sie sehr schüchtern gewesen, doch das hatte sich geändert.
»Ich glaube!« flüsterte sie und brachte ihren Mund dicht an das ungewöhnliche Ei, »dass wir noch Freunde werden können. Noch sehr gute Freunde, sogar…«
Sie ging weiter. Plötzlich war sie sogar froh darüber, dass ihre Mutter nichts sehen konnte. Alma hatte von einer Gefahr gesprochen. Darüber konnte ihre Tochter nur lachen…
Es war mir genau in der Erinnerung geblieben. Ein blasses Gesicht mit schwarzen, lockigen Haaren, ein ebenfalls sehr blasser Mund, zwei dunkle Augen, in denen nun ein größerer Optimismus funkelte, als noch drei Tage zuvor.
Und ich erinnerte mich an das Lächeln. Das erste, scheue, aber sehr ehrliche Lächeln. Von wem ich rede? Von Glenda Perkins natürlich, meiner und Sukos Sekretärin, die uns im Laufe der Zeit zu einer mehr als guten Freundin geworden war und die schon seit einiger Zeit im Krankenhaus lag, getroffen von einem Messerstich, der tief in ihren Körper eingedrungen war.
Dreimal hatten die Ärzte operieren müssen. Der letzte Eingriff hatte dann den entsprechenden Erfolg gezeigt, und Glenda befand sich wieder auf dem Weg der Besserung.
Ich hatte mit ihr sprechen können und auch das erste freie Lächeln erlebt.
Von der Verlegenheit hatten wir nicht geredet, auch nicht von der Attacke auf sie. Statt dessen hatte sie nach der Zukunft gefragt und sich erkundigt, wann sie wieder im Büro sein könnte.
Da hatte ich lachen müssen, war gegangen, um sie nicht zu sehr zu strapazieren. In ihrem Krankenzimmer stapelten sich sowieso die Geschenke, da hatte jeder etwas
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