0664 - Satan in Weiß
konnte, weil die alten Spezies noch vorhanden waren und eine Krähe der anderen kein Auge aushackte. Das galt auch für den KGB, der im Hintergrund die Fäden zog. Jedenfalls hatte er die Morde nicht aufklären können, was ihn persönlich frustrierte.
Sein Vorgesetzter hielt sich aus allem heraus. Der Mann wusste nicht, ob er wegen seiner nicht ganz lupenreinen Vergangenheit nicht irgendwann abgesetzt wurde. Deshalb hielt er sich aus allem heraus, war freundlich, was man von ihm früher nicht gekannt hatte, und ließ ansonsten den lieben Gott einen guten Mann sein.
Auch an diesem Tag hatte Harry Stahl wieder der große Frust überkommen. »Dreck draußen, Dreck drinnen, Dreck überall.« Zu allem Unglück hatte noch seine geschiedene Frau angerufen, die sich irgendwo im Westen Deutschlands aufhielt, um dort Geschäfte zu machen. Irgendwas mit Mode. Ein Geschäft schien sie schon zu haben, denn sie wollte von Harry wissen, wie es mit Platz für eine Filiale in Leipzig aussah.
Er hatte ihr erklärt, sie sollte sich zum Teufel scheren oder ihren Plunder einpacken und selbst nachschauen.
Worauf sie nur gelacht und ihn einen enttäuschten Bullen genannt hatte.
Es klopfte, die Tür ging auf und Maria betrat das Büro. Das heißt, die Sekretärin wollte nicht Maria genannt werden, sondern Mary. Und ihren polnisch klingenden Familiennamen, der zwar ausgesprochen, aber kaum geschrieben werden konnte, kannten wohl nur die wenigsten. Sie wurde also nur Mary gerufen.
Sie gehörte zu den kleinen Menschen, war rund und gesund und hatte einen roten Kirschmund. An diesem Tag trug sie das Haar gescheitelt, an der linken Seite länger als an der rechten.
»Kaffee, Chef?«
»Richtig, Mary. Du weißt immer, was ich will.«
Sie stellte das kleine Tablett mit der Kanne und der Tasse ab. »Na, na, so würde ich das nicht sagen.«
»Wie denn?« grinste Harry.
»Darüber können wir irgendwann mal reden.«
»Klar, wenn ich dich zum Essen einlade.«
Mary, die gebückt gestanden hatte, richtete sich wieder auf und begann damit, die Monate an ihren Fingern abzuzählen.
»Hast du was?«
»Nicht direkt. Ich rechne nur gerade nach, wann du mich zum ersten Mal zum Essen hast einladen wollen. Das liegt schon einige Zeit zurück, wie ich meine.«
Stahl nickte. »Da siehst du mal, wie die Zeit vergeht.«
»Genau, Harry. Von unseren englischen Freunden haben wir auch nichts mehr gehört.«
»›That's life‹, würden die sagen. Ich machte ihnen keinen Vorwurf. Die haben auch genügend Ärger am Hals.« Er schenkte die erste Tasse voll.
»Hinzu kommt, dass wir ihnen auch keinen Grund gegeben haben, dienstlich einzugreifen.«
Mary holte einen Stuhl heran und nahm Platz. Sie wurde noch kleiner.
»Stimmt, Harry, bisher nicht.«
»Was soll das heißen?«
»Es könnte sich ändern.« Der Kommissar mit den grauen Haaren und den Lachfältchen um die Augenwinkel, bekam einen starren Blick. »Weißt du mal wieder mehr als ich, Mary.«
»Tja«, sagte sie, »es könnte sein.« Er trank zwei Schlucke.
»Dann könntest du mich auch aufklären, wenn ich bitten darf.«
»Das wollte ich. Wie du weißt, sind wir seit neustem auch der internationalen Fahndung angeschlossen. Da kam heute Morgen aus London ein Fax bei uns an.«
»Richtung. Scotland Yard sucht einen gewissen Dr. Sheldon Drake, einen Arzt.«
»Gratuliere, dass du den Namen behalten hast.«
»Noch bin ich nicht senil. Weiter, Mädchen.«
Mary wischte Flusen von ihrer schwarzen Hose. »Dir mag der Name zwar unbekannt sein, und ich kenne diesen Doktor auch nicht persönlich, aber ich habe eine Kusine in Wittenberg wohnen. Mit der sprach ich vor knapp zwei Tagen, und die erzählte mir unter anderem, dass sie in der Nähe eine Privatklinik hätten, die von einem englischen Arzt namens Dr. Drake geleitet würde. Die Klinik wäre zwar noch nicht richtig eingerichtet, aber es würde nicht mehr lange dauern, bis die ersten Patienten einträfen. Möglicherweise sind sie schon da.«
»Und das weißt du alles?«
»Dann hätte ich es dir nicht gesagt.«
Harry Stahl bekam große Augen. »Wie sieht es denn mit dem Namen aus? Hast du dich auch nicht verhört?«
»Nein, meine Kusine nannte ihn zweimal Doktor Drake.«
Harry Stahl nickte nur. »Phantastisch«, erklärte er nicht gerade begeistert, »da können wir dann ein Fax aufgeben und den Leuten in London erklären, wo sie ihren famosen Arzt abzuholen haben.«
»Würde ich nicht tun, Chef.«
Harry Stahl gehörte auch zu den Menschen,
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