0664 - Satan in Weiß
sie anhand der Reifenspuren, die sich im feuchten Erdreich abzeichneten. Sie sahen sehr frisch aus, ein Zeichen dafür, dass die Strecke jüngst erst befahren worden war.
Natürlich rechnete Harry damit, auf den VW-Bus zu treffen. Er hatte Suko auch von dem Kittelmenschen berichtet, von dem er angegriffen worden war.
Leise konnten sie nicht gehen. Unter ihnen raschelte das Laub, hin und wieder brachen auch alte Zweige. Der Himmel zeigte ein graues, düsteres Gesicht, unter dem die schwarzen Raben, die Totenvögel, ihre Kreise zogen.
Vor ihnen öffnete sich das Gelände. Die Stürme im letzten Frühjahr hatten auch Ostdeutschland nicht verschont und einen Teil des Waldbestandes zerstört. So auch hier. Durch die Lücken der quer- und schiefliegenden Bäume hinweg schauten sie auf die Front eines ebenfalls grauen Gebäudes, das auf Suko beim ersten Hinsehen den Eindruck eines alten Ausfluglokals machte, denn es besaß noch einen Vorbau, dessen Dach durch ebenfalls hölzerne Säulen abgestützt wurde.
Ein Garten umgab den Vorbau. Früher war er vielleicht prächtig gewesen, heute präsentiert er sich als verwildertes Grundstück und sah so aus, als wollte er bald das gesamte Haus umgeben.
In den Garten hineingefahren war der VW-Bus. Einen Zaun sahen sie nicht, auch kein Eisengitter, das ein Grundstück umschloss. Der VW-Bus hatte freie Bahn bekommen.
Die Fassade sah aus, als wollte sie in den nächsten Tagen zusammenfallen. Ehemals weiße Rahmen waren im Laufe der Zeit grau geworden. So grau wie auch die Scheiben, an denen der Schmutz klebte.
»Da tut sich nichts«, murmelte Harry Stahl. »Kein Licht hinter den Fenstern.«
»Vergiß nicht, dass Vampire die Helligkeit hassen.«
»Sind die Patienten denn Blutsauger?«
»Zumindest befinden sie sich auf dem Weg dorthin.«
»Wir werden sehen.« Harry Stahl ging vor. Suko folgte ihm und blieb erst stehen, als sie den VW-Bus erreicht hatten. Beide schauten sie hinein.
Der Wagen war leer. Etwas anderes hatten sie auch nicht erwartet. »Die sind alle im Haus«, flüsterte der Kommissar.
»Das denke ich auch.«
»Komisch ist mir schon«, flüsterte Harry, als sie weitergingen, dann unter dem breiten Vordach stehenblieben und noch einmal zurückschauten.
Sie sahen nur einen kleinen Teil der Stadt. Vor ihr lagen die Felder, auf deren graubraunen Flächen sich die Dunstschwaden festkrallten. Weit im Hintergrund führte die Straße vorbei. Die Wagen fuhren alle mit Licht.
Ihre hellen Augen waren kaum zu erkennen.
Eine alte Holztür musste irgendwann einmal weiß gestrichen worden sein. Längst war die Farbe abgeblättert. Sie hing nur mehr an einigen Stellen auf dem Holz wie eine alte Tapete.
Die Klinke sah schwer und wuchtig aus. Sie hatte im Laufe der Zeit Rost angesetzt, war aber an der Oberseite zum Teil blank. Dort hatten die Besucher hingefaßt, wenn sie die Tür aufzogen.
Auch Suko legte seine Hand auf die Klinke. Er schaute noch einmal in das Gesicht des Kommissars, der daraufhin lächelte, was allerdings mehr einem Zucken der Mundwinkel gleichkam. Sehr wohl fühlte Harry sich in seiner Haut nicht.
»Bist du klar?« fragte Suko.
»Wie man's nimmt.«
Suko öffnete die Tür. Sie ließ sich ziemlich schwer nach innen drücken.
Der Inspektor war froh, dass er sie nicht aufbrechen hatte müssen. Er betrat endlich das Haus, das sich Dr. Sheldon Drake als neues Wirkungsfeld für seine gefährlichen Aktivitäten ausgesucht hatte.
Der Inspektor kannte das alte Gemäuer in Sussex, dieses hier sah ebenso schlimm aus, auch wenn es möbliert war. Es roch muffig, nach Tod und auch nach Blut. Letzteres konnte auch Einbildung sein.
In der Halle standen sehr alte, mit Stoff bezogene Sessel. Die Farbe erinnerte an Ochsenblut. Die Sessel besaßen hohe Lehnen, zwischen ihnen standen leere Tische, auf denen die grauen Häkeldecken deplaziert wirkten.
Das alte Holz des Fußbodens knarrte und ächzte unter dem Gewicht der Männer.
Unter der Decke hing ein alter Lüster. Eine breite Treppe führte nach oben. Doch auch hier unten zweigten mehrere Türen ab, die allesamt geschlossen waren.
Niemand saß in den Sesseln. Keiner ließ sich zur Begrüßung blicken.
Die Stille lag wie eine lastende Wolke über dem großen Raum, in dem der Staub flirrte.
Harry Stuhl zeigte ein enttäuschtes Gesicht. »An und für sich bin ich es gewohnt, begrüßt zu werden, aber wie es aussieht, will man uns hier nicht haben. Du weißt besser Bescheid, Suko. Sehen so die Heimstätten für
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