0675 - Der falsche Buddha
dem helleren Gestein. Der Fackelschein gab ihnen ein fast schon lebendiges Aussehen, dies wiederum empfand sie als schlimm, denn das Dunkle auf dem Stein konnte nur Blut sein.
Das Blut der Opfer.
Und ein Opfer würde auch sie werden.
Sie wollte fragen, dazu kam Narina nicht mehr. Kaum hielt sie den Mund offen, da erschien eine riesige Hand vor ihrem Gesicht.
Sie aber lenkte nur ab, denn hinter der Hand tauchte wie aus dem Nichts der Beinlose auf. Er schwebte dicht unter der Decke, und sein vom Fackelschein gezeichnetes Gesicht enthüllte einen widerlichen, einen sehr bösen Ausdruck.
Nur dieses eine, wie eingemeißelte Gefühl, das den Tod versprach.
Der Schlag erwischte sie von hinten!
Gemein und hinterrücks explodierte etwas an ihrem Kopf. Danach war es vorbei. Sie fiel ihren Bewachern in die Arme und merkte nicht, daß diese Männer sie Sekunden später auszogen.
Fast nackt wurde sie auf den Altar gelegt. Über ihr schwebte der Beinlose und glotzte aus starren Augen auf den Körper der halbnackten Frau nieder…
***
Es hatte beiden nicht gefallen, sich tagsüber verstecken zu müssen, aber es war ihnen nichts anderes übriggeblieben, denn Rifa kannte sich in Gaya besser aus. Er wußte um die Machtverteilung, kannte die Verstecke, die Menschen, war damit vertraut, wer auf wessen Seite stand, und dem hatten sich Mandra Korab und Suko einfach beugen müssen.
Leichengestank umwehte sie!
Es war ein alter, furchtbarer Geruch, an den sich kein Mensch gewöhnen würde, aber in diesen modrigen Gewölben und Kasematten lagen nun einmal die Toten, die trotzdem nicht so tot waren wie bei anderen Religionen. Man glaubte immer wieder, daß sie noch Verbindungen zu den Lebenden hielten, was für Fremde kaum vorstellbar war, wenn dieser die verwesten, verfaulten und widerlichen Körper sah, an denen das Fleisch grau und braun an den Knochen hing wie eine dünne Schicht, die sich leicht abziehen ließ.
Es gab kein Licht hier unten, aber Rifa hatte für Fackeln gesorgt, in deren blakenden Schein sich Mandra und Suko gegenübersaßen, sich oft genau anschauten, wobei zumeist Suko den Kopf drehte, als könnte er es nicht vertragen.
»Was hast du?«
»Wieso?«
Mandra lächelte. »Du schaust immer öfter zur Seite.« Er stand auf und holte neue Fackeln. An den Flammen der alten zündete er sie an. Beide bekamen mehr Licht. Sie empfanden nicht, daß es heller wurde. Das Licht gab sehr viele Schatten ab, die dafür sorgten, daß ihr ›Warteraum‹ mit einem gespenstischen Leben erfüllt wurde.
Suko nahm wieder Platz. Er schaute ins Leere und mußte sich eine Bemerkung gefallen lassen. »Du hast mir noch immer nicht auf meine Frage geantwortet.«
»Ach ja?«
»Genau, Suko. Was ist mit dir los? Du bist so anders als sonst. Ich gebe zu, daß ich auch nicht normal bin, aber du machst mir einen Eindruck, den ich nicht verstehen kann. Wir stehen beide unter Spannung, nur fühle ich, daß sie bei dir eine andere ist als bei mir. Nicht daß ich dir etwas will, aber so kommst du mir vor.«
Suko gab keine Antwort. Mandra hatte ja recht, nur wollte er ihm das nicht sagen, denn sein Zustand ging nur ihn persönlich etwas an, nicht den Freund.
Er hätte auch John Sinclair nichts davon gesagt, denn er war derjenige, der den Stab trug. Seinetwegen waren sie nach Indien gereist, um die alte Wirkung wieder zurückzubekommen. Und Suko spürte, daß sich da etwas anbahnte.
Begonnen hatte es schon vor einigen Stunden, als sie durch die alten Gänge mit den Felsengräbern geschlichen waren, wo die verwesten oder halb verwesten Körper lagen. Da war Rifa noch bei ihnen gewesen, doch er hatte sie verlassen, um in der Stadt nach John Sinclair Ausschau zu halten. Mandra hatte von John Sinclairs Kreuz gesprochen und natürlich die Heilige Silbe erwähnt.
Für Rifa war das ein guter Hinweis gewesen. ›Dann werde ich ihn finden‹, hatte er gesagt und war gegangen.
Jetzt warteten sie auf die Rückkehr der beiden Männer. Suko anders als Mandra.
Die Unruhe ließ sich nicht vertreiben. Sie hielt seinen Körper von innen her umfangen und zeigte sich auch im Ausdruck der Augen.
Der Blick war nicht mehr so klar. Suko war anzusehen, wie stark er über gewisse Vorgänge nachdachte, die nur ihn etwas angingen, und für Mandra zeigte er eine ungewöhnliche Unruhe.
»Was quält dich, Suko? Rede endlich!«
Der Inspektor schob mit der Schuhspitze einen Stein zur Seite. Er schaute bei seiner Antwort nicht hoch. »Mich beschäftigen Probleme, die
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