0675 - Der falsche Buddha
worden.
Hatten sie Gaya erreicht?
Gern hätte sie den Kopf gehoben, aber die über ihr schwebenden Gesichter versprachen ihr den Tod, wenn sie es auch nur wagte, sich falsch zu bewegen.
Der Fahrer mußte die Kurven enger nehmen. Die Straßen waren jetzt schmaler geworden. Die Echos klangen anders. Auch Stimmen wehten in sie hinein.
Gaya war erreicht.
Narina kannte die Stadt. Sie stellte sich die Einfahrt vor ihrem geistigen Auge vor. Da gab es eine Oberstadt und die Altstadt.
Dort spielte sich das wahre Leben ab. Alles, was im neuen Teil lief, wirkte wie ein schlecht durchgeführter oberflächlicher Anstrich. Das wahre Leben brodelte in der Unterstadt. Dort ballten sich die Rätsel zusammen, da konzentrierte sich das noch orientalische, märchenhafte Indien, so wie es auch heute noch von vielen Fremden angesehen wurde. Wenn sie dorthin kamen, wurden sie nicht enttäuscht.
Aber Gaya war nicht Bombay, Delhi oder Kalkutta. Die Angriffe der Touristen erlebte die Stadt nicht. Hier war man unter sich und wollte auch unter sich bleiben. Fremde fielen auf, man stellte sich ihnen entgegen. Also würde auch ein Mann wie John Sinclair auffallen, und die Chance zur Befreiung reduzierte sich auf ein Minimum.
Die Entführer hatten auf Fesseln verzichtet. Sie waren von sich so überzeugt, daß sie so etwas nicht brauchten, und Narina mußte ihnen recht geben. Es gab überhaupt keinen Grund, sie zu fesseln, eine Chance hatte sie ohnehin nicht.
Stoppen, anfahren, das Rucken, das Hin und Her, mal zurücksetzen, all dies zeigte ihr, daß die Altstadt das Fahrzeug geschluckt hatte wie ein massiger Bauch. Hier mußte man die Straßen einfach als Gassen bezeichnen, und hier bestand der Untergrund aus einem unebenen, holprigen Muster.
Andere Gerüche folgten dem Staub. Er roch nach Gewürzen, nach Pfeffer, Curry, Koreander und all den anderen Dingen, die auf dem Markt von Gaya verkauft wurden.
Einer der Männer drehte sich der Plane entgegen, löste die Verschnürung und hob sie an.
Nur er schaute hinaus. In geduckter Haltung blieb er für wenige Sekunden stehen, bevor er sich umdrehte und nickte. »Es ist alles so, wie wir es haben wollen.«
»Wann sind wir da?«
»Gleich.«
Es dauerte trotzdem noch mehrere Minuten. Endlich stoppte der Wagen. Ein kurzes Hupsignal schmetterte auf, das Zeichen für die Männer, den Wagen zu verlassen.
Narina hoffte, noch eine Chance zu finden, was ihr leider nicht möglich war. Zwei ihrer Bewacher stiegen zwar aus, die anderen aber hielten sie fest.
Erst als sie durch Winken freie Bahn bekamen, luden sie die junge Frau ab.
Man rollte sie über die Ladekante. Griffbereite Hände fingen sie auf. Von verschiedenen Seiten näherten sich zwei Männer. Einer von ihnen hatte den Wagen gelenkt, der andere war der Motorradfahrer gewesen.
Natürlich schaute sich Narina um. Viel erkennen konnte sie nicht.
Sie stellte nur fest, daß sie sich tief in der Altstadt befand, und ein bestimmter Geruch quoll in ihre Nase. Es roch verbrannt, sie wußte, wie die kalte Leichenasche roch. Die sonderte einen bestimmten Gestank ab, der für manche Gebiete typisch war.
Narina war nicht dumm. In der Nähe mußten die alten Leichenplätze liegen, wo die Toten verbrannt wurden. Nicht nur die Männer, auch die Witwen mußten ihnen in den Tod folgen, so schrieb es eine andere Religion vor, die mit dem Buddhismus nichts zu tun hatte. Hier kreuzten sich die Religionen wie überall auf dem gewaltigen Subkontinent.
Man führte Narina weg.
Es war stickig und heiß. Die Hitze brütete über ihren Köpfen, sie drückte wie schweres Blei, das von großen Händen über dem Gebiet verteilt worden war.
Eine Gasse war es nicht, durch die sie schließlich gingen, mehr eine steinige Rinne, die zudem noch bergab führte und erst dort endete, wo sich dann ein schmaler Durchschlupf befand.
Ein altes Gewölbe umschloß sie. Zuerst gingen sie durch die Dunkelheit, dann flackerte plötzlich Fackellicht. Es schuf Helligkeit und Schatten. Letztere tanzten bizarr über den Boden und glitten auch an den Wänden hoch.
Wo man sie hinführte, war Narina unbekannt. Bis sie dorthin gelangte, wo sich die Höhle noch weiter ausbreitete und sie einen großen rechteckigen Stein sah, einen Altar.
Zwei Männer hielten sie fest. Beim Anblick des Altars blieb die Frau unwillkürlich stehen. Sie wollte nicht gehen, da krampfte sich etwas in ihrem Innern zusammen, denn sie wußte, was dies bedeutete. Und sie entdeckte auch die dunklen Flächen auf
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