068 - Schreckensgondel der Schneehexe

Flarnarda, der Hexe. Nyreen beschrieb die vier Männer,
die, von Unruhe getrieben, nach und nach wieder in die Höhle zu der Toten
zurückkehrten und dort von deren Fluch ereilt wurden. Flarnardas Geist
beherrschte die Luft und den Schnee. In der Kälte starben die Mörder, und vier
Skelette wurden zu Totenwächtern und schließlich später zu Helfern der Hexe.
    Die
Nähe der Kette, die Tatsache, daß Nyreen sie noch immer berührte und Larry sie
ihr nicht wegzog, schien verantwortlich dafür zu sein, daß sie plötzlich mehr wußte .
Nyreen war ein Medium, wie er es in dieser Stärke und Besonderheit noch nie
erlebt hatte. Der Gegenstand ließ Dinge in sie einfließen, die sie nirgendwo
gehört oder erfahren haben konnte. Flarnarda, die Rächerin aus der Schneehöhle,
hatte sich vom Tag ihres Sterbens an nichts sehnlicher gewünscht, als wieder zu
den Menschen in die Wärme ihrer Häuser zurückkehren zu können. Ihr Fluch und
ihr Wunsch hatten ihr körperliches Dasein überdauert. Viele Jahrhunderte hatte
es gedauert ehe Flarnardas übriggebliebene Kräfte so weit erstarkten, daß es zu
ersten Zwischenfällen kam, die jedoch niemand mit ihr in Verbindung brachte. Da
war das Verschwinden Horst Seibels vor fünf Jahren. Nyreen sah den Leidensweg
des Mannes vor sich und schilderte ihn knapp und präzise. Mit der letzten
Gondel war Seibel auf den Berg gefahren und wählte eine ungesicherte Tourenabfahrt
im freien Ski-Gelände. Er wollte auf eigene Faust etwas unternehmen, entdeckte
die Schneehöhle und wurde von Flarnardas geistiger Kraft gefangengehalten. Fünf
Jahre blieb Seibel verschwunden. Sein Körper wurde zum Wirtskörper für die
Schneehexe, die ihre Kraft dort hineinversenkte und den Körper quasi
aufbrauchte, bis er zur Mumie wurde. Mit dem mumifizierten Leib suchte sie fünf
Jahre später den Gasthof auf und begegnete Christel Burger. Larry war wie
elektrisiert, als dieser Name fiel… Das Mosaik fügte sich zusammen!
    »Viele
Jahrhunderte hat es gedauert, ehe es zu jener Nacht kommen konnte, zu der
letzten Nacht, in der so vieles passiert ist…«
    Nyreen
Filmore schien immer mehr wahrzunehmen. Die Kette war Flarnardas Eigentum, und
alles, was Flarnardas Geist seit jenen trüben Tagen damals im 13. Jahrhundert
registriert und aufgenommen hatte, schien in diesem persönlichen Gegenstand
gespeichert zu sein. »… die Kette lag auf der Straße… das Körbchen, in dem sie
erblickt wurde, kam ganz woanders her… aus einem Haus, das auf der anderen
Seite des Berges liegt.«
    »Überschießende,
unkontrollierbare parapsychische Kräfteströme«, bemerkte Larry, dem nun der
Hintergrund blitzartig klar wurde. »Gegenstände, die niemand berührt, setzen
sich dennoch in Bewegung und verschwinden spurlos, um an einem anderen Ort
unverhofft wieder aufzutauchen…« Flarnardas übersinnliche Fähigkeiten glichen
jenen Nyreen Filmores! Auch Nyreen war ein Phänomen. Dort die Kräfte einer
Toten…. hier die einer Lebenden… Nyreen wußte sogar etwas über den Mann, der in
der Minute in Angelika Haas’ Fahrertür griff, als der VW startete. Flarnarda,
die Schneehexe, hatte einen ihrer ehemaligen Mörder auf den Weg geschickt. Sie
probte damit ihre Kraft, die von Jahrhundert zu Jahrhundert mehr gewachsen war.
Die Hexe formte um das Skelett herum einen neuen Körper. Sie bediente sich dazu
des Schnees, eines aus Wasser bestehenden Elements, das sie mit ihrem Geist
beeinflussen konnte. Der gleiche Mann lief Iwan und Larry am nächsten
Tag am Abhang über den Weg, und sein Schneekörper löste sich unter ihren Händen
auf. Iwan, der mit dem übriggebliebenen Skelett unterwegs war, würde auf diese
Lösung wohl so schnell nicht kommen. Nyreens Ausführungen hatten Larry Brent
unerwartet schnell vorangebracht. Und durch Nyreen kam auch noch der letzte,
entscheidende Hinweis. »Die Hexe ist in der Nähe«, flüsterte das Mädchen und
blickte an der ankommenden Gondel die unter dem vorspringenden Dach der Station
hereinschwebte, vorbei, den Berg hoch. »Sie ist in dem Gasthof… in einem
anderen Körper, der ebenfalls sterben wird.«
    »Christel
Burger?«
    »Ja«,
hauchte Nyreen. »Und die Gondel… eine Gondel fährt direkt in den Tod… Ich sehe
Feuer… schreiende Menschen, die aus der Kabine klettern… und von den
Skelett-Mördern der Schneehexe in Empfang genommen werden. Flarnarda… will
töten… sie hat nichts mehr anderes im Sinn. Siebenhundert Jahre hat sie auf
diesen Augenblick gewartet… nicht nur eine Gondel