Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0683 - Monster aus dem Schlaf

0683 - Monster aus dem Schlaf

Titel: 0683 - Monster aus dem Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
Vom Netzwerk:
weiterkam.
    »Es war richtig, diese E-Mail zu schicken«, sagte sie. »Ich habe mit dem Mann gesprochen. Er ist ein Parapsychologe und hat versprochen, uns zu helfen.«
    Hörst du das?, flüsterte der Geist dem Jungen zu. Ein Parapsychologe. Weißt du, was das ist?
    Nein, antwortete der Junge stumm.
    Das ist wie ein Psychologe, nur noch schlimmer. Und du weißt doch noch, was ich dir über Psychologen erzählt habe?
    Der Junge dachte einen Moment nach. Das sind Menschen, die Kinder mitnehmen, die so Sachen können wie ich.
    Sehr gut, lobte der Geist. Aber Parapsychologen sind noch schlimmer. Die können sogar mich verletzen.
    Aber wie denn? Du bist doch in meinem Kopf, wo dich keiner sehen kann.
    Ein Parapsychologe schon. Er kann direkt in deinen Kopf hineinsehen und alle deine Geheimnisse entdecken, also auch mich. Aber wenn du dir Mühe gibst, kannst du das verhindern.
    Das werde ich, versprach David.
    Neben ihm schob sein Bruder Chris den Stuhl zurück und stand auf.
    »Ich geh noch mal raus«, sagte er, ohne die Erlaubnis seiner Mutter abzuwarten.
    Catherine sah ihm mit besorgtem Blick nach. Sie wusste, dass sie längst die Kontrolle über ihren zwölfjährigen Sohn verloren hatte. Sie wusste weder, was er nach der Schule machte, noch, wer seine Freunde waren.
    David war ganz anders. Er war ein ruhiger Junge, der meistens in seinem Zimmer saß und malte. Er geriet nie in Schwierigkeiten, und die Schule hatte seinetwegen noch kein einziges Mal angerufen.
    Catherine war froh, dass sie wenigstens einen Sohn hatte, um den sie sich keine Sorgen machen musste.
    ***
    London, 9. November 1888
    Es war ein ruhiger Abend für Sir Henry und Mary Jane. Seit fast zwei Stunden stand sie jetzt schon unter der Straßenlampe, war aber erst von einem Freier angesprochen worden. Den hatte sie mit einer viel zu hohen Preisforderung direkt wieder vertrieben.
    Es schneite immer noch. Eine weiße Schicht hatte sich auf den Hausdächern und Straßen gebildet. In der Stille konnte Henry das leise Zischen der Flocken hören, die auf der Straßenlampe verdampften.
    Er wollte gerade aus seiner Deckung treten, um Mary Jane zu sagen, dass er die Aktion für den heutigen Abend abbrechen wollte, als er Schritte auf dem Schnee knirschen hörte. Sie klangen unregelmäßig, so als würde die Person hinken.
    Wenig später bog eine schwarz gekleidete Gestalt um die Ecke, ein Mann, wie Henry erkannte. Er ging merkwürdig schaukelnd, nicht wie ein Betrunkener, sondern beinahe so, als wäre ihm die Bewegung ungewohnt und er müsse sich erst daran gewöhnen. Sein Hut war tief ins Gesicht gezogen und schneebedeckt. Anscheinend ging er schon seit längerer Zeit durch die Straßen.
    Er blieb stehen, als er Mary Jane bemerkte.
    Das ist er, dachte Henry plötzlich. Das ist Jack.
    Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Die Zeit des Wartens war vorbei.
    Der Mann kam schwankend näher. Er blieb vor Mary Jane stehen und sagte leise ein paar Worte.
    Henry konnte ihn nicht verstehen, sah nur, dass Mary Jane nickte und langsam auf ihre Haustür zuging. Der Mann folgte ihr.
    Was tut sie da?, fragte er sich entsetzt. Wieso will sie ihn mit in ihr Zimmer nehmen?
    Mit einer raschen Bewegung zog er den Degen, der in seinem Stock verborgen war, heraus. Die in der Klinge eingravierten Schriftzeichen leuchteten rötlich in der Dunkelheit. Henry verneigte sich vor der Klinge und trat entschlossen aus seiner Deckung.
    »Halt!«, rief er.
    Der Unbekannte blieb stehen, während Mary Jane scheinbar ungerührt die Haustür öffnete und eine Petroleumlampe entzündete.
    Henry streckte dem Mann die Klinge entgegen.
    »Dreh dich um!«, forderte er.
    Quälend langsam nahm der Mann den Hut ab und lockerte seinen Schal. Henry sah, dass sein Schädel vollkommen kahl war.
    Dann drehte er sich um.
    Der Blick seiner Augen traf den des Adeligen.
    Henry begann zu zittern. Die Klinge vibrierte in seiner Hand. Sein Herz setzte einen Schlag aus und schlug hämmernd weiter.
    Er wich zurück, bis er mit dem Rücken gegen eine Mauer prallte. Dann drehte er sich um und rannte.
    Henry rannte, bis die Luft in seinen Lungen zu flüssiger Lava wurde und seine Beine von Krämpfen geschüttelt wurden. Aber immer noch konnte er den Blick des Rippers in seinem Rücken spüren.
    Also rannte er weiter.
    Als er schließlich vor Erschöpfung zusammenbrach, färbten die ersten Strahlen der Sonne den Himmel blutrot.
    Und Mary Jane Kelly war seit fünf Stunden tot.
    ***
    Gegenwart
    Der Zeitungsverkäufer nahm

Weitere Kostenlose Bücher