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0688 - Das Hohe Volk

0688 - Das Hohe Volk

Titel: 0688 - Das Hohe Volk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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denen Tierhäute zum Trocknen aufgespannt waren. Männer und Frauen, die grobe Stoffe trugen, saßen auf dem gerodeten Boden, schärften Werkzeuge oder bereiteten Nahrung zu.
    Vor einem Zelt befand sich eine große offene Feuerstelle, in der man vermutlich die Waffen schmiedete. Links neben dem kleinen Dorf lagen Felder, auf denen maisartiges Getreide wuchs.
    Nicoles Blicke folgten der steinernen Treppe nach unten. Sie endete unmittelbar hinter dem Dorf. Sie konnte die ersten Stufen nicht sehen, denn sie wurden von einer hohen Lehmmauer umgeben. Ein Tor, das reich mit Blumen, Tierknochen und - wie Nicole mit einem mulmigen Gefühl bemerkte - Menschenschädeln verziert war, führte in den inneren Bereich. Anscheinend waren Treppe und Turm den Menschen heilig- Kein Wunder, dachte Nicole, als sie die starke magische Ausstrahlung des Gebäudes wahrnahm, das ist schon beeindruckend.
    Die Neandertaler zügelten ihre Tiere und sprangen elegant ab. Gutturale Begrüßungen wurden ausgetauscht.
    Einige Dorfbewohner sahen Nicole mit scheuen Blicken an.
    Sie stieg ebenfalls ab und blieb am Rand des Dorfplatzes neben den Reittieren stehen. Sollte die Stimmung Umschlägen, konnte sie immer noch einen Fluchtversuch unternehmen.
    Nach einigen Minuten ging einer der Jäger in das größte der Zelte und kehrte mit vier alten Männern zurück, denen die anderen Dorfbewohner respektvoll Platz machten.
    Ich bin wohl ein Fall für den Ältestenrat, dachte Nicole, als die Männer vor ihr stehen blieben und sie neugierig musterten.
    Einer von ihnen trat vor und sagte etwas.
    Nicole hob die Schultern. »Ich verstehe dich nicht,« entgegnete sie ruhig.
    Die Männer sahen sich verwirrt an. Es schien, als haben sie noch nie jemanden getroffen, der ihre Sprache nicht beherrschte.
    Der Wortführer wiederholte seinen Satz lauter und langsamer.
    Dieses Mal konnte Nicole zumindest an den Bildern in seinem Geist erkennen, dass er wissen wollte, woher sie kam.
    Sie zeigte hinaus auf die Ebene. »Von weit weg.«
    Besorgt bemerkte sie, dass die anderen Dorfbewohner begannen, einen Kreis um sie zu bilden. Vermutlich war ihre Ankunft das Interessanteste, was seit Monaten in diesem Dorf passiert war.
    Der alte Mann runzelte die Stirn, wandte sich ab und diskutierte leise mit seinen Altersgenossen. Ihre Körpersprache verriet Nicole, dass sie sich über irgendetwas nicht einig waren.
    Vorsichtig tastete sie erneut nach dem Geist des Wortführers. Es war nicht einfach, die fremden Worte und Bilder richtig zu interpretieren, aber Nicole gelang es, wenigstens seine Grundstimmung aufzufangen.
    Er war ihr weder freundlich noch feindlich gesonnen, schien sie auf merkwürdige Art nicht als Menschen, sondern eher als Werkzeug zu betrachten. Darin wich er jedoch von einigen anderen ab, die eine ganz andere Meinung in der Diskussion vertraten.
    Schließlich setzte der alte Mann sich mit einem gewaltigen Wortschwall gegen seine Kontrahenten durch. Er sah einen nach dem anderen prüfend an, aber niemand hatte ihm noch etwas entgegenzusetzen.
    Nicole spürte seine Zufriedenheit.
    Und zuckte zusammen.
    Ihr zukünftiges Schicksal stand klar im Geist des Wortführers. Das Bild war so deutlich wie eine Fotographie, und es zeigte Nicoles abgeschlagenen Kopf, der am Tor zur Treppe festgebunden war.
    Man wollte sie opfern.
    »Nicht mit mir«, murmelte sie.
    Sie wartete nicht ab, bis der alte Mann seine Entscheidung den anderen mitteilte, sondern ging sofort zum Angriff über.
    Zumindest wollte sie das, aber der Schlag, der sie unvorbereitet am Kopf traf, beendete ihre Pläne.
    Nicole brach zusammen.
    ***
    Zamorra war für einen Moment sprachlos. Als er den Vampir das letzte Mal gesehen hatte, wurde er zusammen mit seiner Familie in einem Bergwerk verschüttet, aus dem Zamorra und Nicole nur knapp entkommen waren. [2]
    Der Dämonenjäger erinnerte sich daran, dass er Nicole daran gehindert hatte, Fu Long zu töten, weil der behauptet hatte, seit Jahren kein Blut mehr getrunken zu haben. Zamorra wusste nicht, ob das wirklich stimmte.
    Klar war nur, dass der Vampir ihm damals einmal das Leben gerettet hatte - und jetzt erneut.
    »Ich dachte, du wärst tot«, sagte er lahm.
    Fu Long lächelte. »Du hast dich wohl geirrt.«
    Hinter dem Vampir kam der Tiger auf die Beine und massierte seinen schmerzenden Nacken.
    »Ihr kennt euch?«, fragte er misstrauisch.
    »Wir sind uns schon mal begegnet«, antwortete Zamorra und bewegte probeweise seinen Arm. Das Gefühl war zurückgekehrt.

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