069 - Der Vampir von Venedig
glühende Kohlen, seine Nase an einen Geierschnabel. Dann öffneten sich die Lippen und gaben den Blick frei auf spitze, lange Reißzähne. Blutig waren diese Zähne. Sie schienen gerade erst ein Opfer gebissen zu haben.
Griet riß sich von der klauenartigen Hand los, rollte sich quer in das große, breite Bett hinein und stieß gegen ihren Freund Johan. Sie schrie seinen Namen, doch er reagierte nicht. Erst in dieser Sekunde begriff sie. Sie brauchte keine weiteren Beweise; das gefletschte Gebiß dieses Ungeheuers und das Blut an den langen Vampirzähnen sagten genug.
Die Bestie stieß jetzt kreischende Töne aus und lief um das Bett herum; sie wollte ihr zweites Opfer einfangen. Wie ein wilder Dämon sah die Gestalt aus, die mit gespreizten Fingern auf Griet zukam. Sie schleuderte ihm eines der Kissen ins Gesicht, stolperte über Johan und nahm wahr, daß sein Hals eine einzige, häßliche Bißwunde war. Dann mußte sie aber weiter, um diesen mordgierigen Händen zu entgehen. Sie sprang vom Bett und lief zum Tisch hinüber, auf dem der Kerzenleuchter stand. Hier wartete sie seinen Angriff ab. Sie war fest entschlossen, ihr Leben so teuer wie möglich zu verkaufen.
Das Ungeheuer blieb stehen, keuchte, war unentschlossen. Die Gegenwehr und die Flucht mußten es verwirrt haben. Griet konnte jetzt erst richtig dieses Gesicht studieren. Sie sah den schmalen, schwarzen Oberlippenbart, den Bartansatz am Kinn und die unheimlichen Eckzähne.
Schaffte sie es, bis zur Tür zu kommen? Falls ihr das gelang, hatte sie eine kleine Chance. Sie mußte dieses Scheusal nur überraschen und überlisten, sie mußte ihn noch weiter zu sich heranlocken.
Griet kam nicht auf die Idee, um Hilfe zu rufen. Sie war sich vollkommen klar darüber, daß man sie hier nicht hören würde.
„Wer sind Sie?" fragte sie mit heiserer Stimme, ließ dabei den brennenden Kerzenleuchter aber nicht aus den Augen; er war ihre einzige Waffe.
Er antwortete nicht. Mit schleppenden, unkoordinierten Schritten kam er auf sie zu, streckte seine Hände aus.
Griet setzte alles auf ihre einzige Karte. Blitzschnell griff sie plötzlich nach dem Kerzenleuchter, riß ihn vom Tisch hoch und schleuderte ihn auf das Ungeheuer, das nur noch einen Schritt von der Tischkante entfernt war.
Das Scheusal hatte mit diesem Angriff nicht gerechnet, wich instinktiv zurück und hob schützend den linken Arm vors Gesicht. Griet kippte den Tisch um und rannte zur Tür hinüber. Sie hörte hinter sich ein Fauchen und Stöhnen, aber sie ließ sich nicht beirren. Griet erreichte die Tür, betete, daß sie nicht verschlossen war und - konnte sie öffnen.
Geschafft!
Wie unter einem Zwang blieb sie kurz stehen und wandte sich nach dem blutgierigen Ungeheuer um. Es rieb sich mit den gespreizten Händen das versengte Gesicht und hatte die Verfolgung noch nicht aufnehmen können. Als sie ihre Flucht aber fortsetzen wollte, prallte sie mit dem jungen Mann zusammen, der die Gondel gerudert hatte. Er versperrte ihr den Weg und breitete beide Arme weit aus.
„Es bringt uns um!" schrie Griet gellend. „Es bringt uns um!"
Der junge Mann verzog das Gesicht. Als er zuschlug, schloß er die Augen. Das sah Griet noch ganz deutlich. Von der Wucht des Schlages wurde sie zurück in das Schlafzimmer geworfen. Sie stolperte, fiel zu Boden, raffte sich wieder auf und sah dann den Vampir, der dicht vor ihr stand. Abwehrend streckte sie ihre Hände aus, schrie, wimmerte um Gnade. Sie kroch zurück, wollte weg von ihm, doch er folgte ihr wie ein Automat. Es war grotesk, daß sie ausgerechnet in diesem Moment bemerkte, wie groß und ausgetreten seine Schuhe waren.
Der junge Mann an der Tür hörte den Aufschrei der jungen Frau, dann ein Stöhnen. Er wußte sehr genau, was jetzt im Zimmer geschah, schloß die Augen und hielt sich die Ohren zu. Er konnte das alles kaum noch ertragen, schluchzte und sank in sich zusammen.
Später merkte er kaum, wie der Vampir dicht an ihm vorüberschritt, ohne sich um ihn zu kümmern. Erst als die Schritte des Ungeheuers auf der Treppe zu hören waren, nahm der junge Mann die Hände herunter und sah dem Vampir nach, der nach unten stieg. Seine Schritte waren die eines seelenlosen Automaten.
Der junge Mann sah kurz in das Schlafzimmer.
Die Frau lag vor dem Bett und glich einer verrenkten Gliederpuppe, die man achtlos hingeworfen hatte. Sie war tot wie der junge Mann auf dem Bett.
Unten von der Halle her war ein schnalzender Laut zu vernehmen. Aufseufzend setzte der
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