0692 - Herr der Schattenburg
Haut so dünn wie weißes Papier, wenn sie atmete, dann stoßweise durch die Nase.
In den folgenden Sekunden blieb es still, und auch Fred Morland stieß die Luft aus. Er konnte nicht sagen, daß er sich wohler fühlte, doch er mußte seiner Frau recht geben. Sie hatte sich nicht geirrt.
Da war etwas Schreckliches auf den Parkplatz gefahren. Etwas, das in einem Fahrzeug gesessen hatte und sich trotzdem so benahm, als wäre es ein Tier oder ein Monstrum gewesen.
Ann fand die Sprache als erste wieder. »Was… was machen wir jetzt?« hauchte sie.
»Wir müssen weg.«
Sie sah aus, als wollte sie lachen, aber sie überlegte es sich. »Und… und wie?«
Fred deutete mit dem Daumen über seine Schulter dorthin, wo sich Fahrer und Beifahrersitz befanden.
»Du willst abfahren?«
»Was sonst?«
Sie nickte.
Fred bewegte sich. Er ließ seine Frau stehen, die sich mit dem Rücken gegen die Wand gedrückt hatte. Auch ihm ging es verdammt schlecht. Er fühlte sich so wie von unsichtbaren Armen umklammert, die alles in ihm zusammendrückten und ihn sogar daran hindern wollten, normal zu atmen. Sie hatten vorgehabt, ihre Silberhochzeit zu zweit zu feiern, sich ein paar herrliche Tage zu machen, und er verfluchte den Umstand, daß sie in einem Wohnmobil auf einem einsam gelegenen Parkplatz festhingen und sich nicht für ein Hotel entschieden hatten.
Er ging leise, schleichend. Trotzdem überkam ihn der Eindruck, als würde das Wesen, das da draußen lauerte, jeden seiner Schritte verfolgen. Als, könnte es durch die Wand des Wagens schauen und würde sich über seine Angst amüsieren.
Oder waren es zwei Wesen?
Die Fenster des Wohnmobils waren sehr klein. In die Wände geschnittene Rechtecke, mehr nicht. Er konnte nicht nach draußen schauen, weil er sie verhängt hatte, da er nicht wollte, daß andere Personen hineinschauten und sie beobachteten.
Aber die Frontscheibe lag frei. Durch sie konnte er nach vorn blicken, in die Dunkelheit hinein, die über dem Parkplatz lag. Das heißt, so finster war es nicht, denn hin und wieder fand der Mond Platz genug, um sein Licht durch die Wolkenlücken zu schieben und die Erde zu beleuchten.
Er sah hinaus, und er entdeckte auch den mächtigen Truck, der weiter vor ihnen parkte.
Es gab hier keine Laternen. Der Parkplatz war nicht mehr als eine dunkle Insel nahe der Autobahn.
Wie sehr hätte er sich Licht herbeigewünscht, obwohl er sich selbst nicht traute, die Scheinwerfer anzuschalten. Er hatte einfach Angst davor.
Nichts geschah.
Die folgenden Sekunden vergingen quälend langsam. Und Fred hörte die wispernde Stimme seiner Frau, die irgendwo aus den Schatten hinter ihnen kam.
»Willst du doch weg?«
»Ich muß es versuchen.«
»Und die…«
Heftig winkte er ab. Fred wollte nicht, daß seine Frau sprach, auch wenn sie leise redete. Schließlich konnten sie nicht wissen, wie gut der Feind draußen hörte.
Fred Morland gehörte nicht zu den Menschen, die sich als Kämpfer bezeichneten. Er war kein Mann der Waffen. So etwas kannte er höchstens aus dem Kino oder vom Fernsehen. Daß die Wirklichkeit ihn einmal überrollen würde, damit hätte er nie im Leben gerechnet, und er blieb hinter dem Fahrersitz stehen, wobei er sich mit beiden Händen auf dessen Rückenlehne abstützte.
Dann schaute er hinaus.
Der Beton sah hellgrau aus. Er hob sich von der Dunkelheit ab. Wenn er nach links aus dem Fenster sah, erinnerte ihn der Buschstreifen an eine düstere Mauer, die bewußt angepflanzt worden war, damit sich das Böse verstecken konnte.
Und draußen lauerte das Böse.
»Fred!« Sein Name klang wie ein Zischen, als Ann ihn ansprach. »Mein Gott, Fred.«
Er drehte sich um. »Was ist denn?«
Ann kam einen Schritt vor und verließ so die finstere Ecke des Wohnmobils. »Ich… ich habe etwas gehört, Fred.«
Er bewegte unwillig seinen Kopf, weil er nicht gestört werden wollte. Er hatte diese furchtbaren Geräusche bereits aus seinem Gedächtnis verbannt, fragte trotzdem noch einmal nach. »Was denn?«
»Ein… ein Schaben.«
Der Mann bewegte den Kopf.
»Ja«, erklärte Ann flüsternd. »Das war ein Schaben oder leichtes Kratzen. Wirklich…«
»Wo denn?«
»Außen am Wagen.« Sie rang krampfhaft nach Luft. »Verdammt, Fred, sie sind noch da!«
Der Mann schluckte. »Ich weiß.«
»Wir sind hier nicht sicher.«
Fred winkte ab. »Noch haben sie uns nichts getan. Behalte um Himmels willen die Nerven.«
»Das versuche ich ja.«
Fred Morland nickte Ann zu. Er wollte um den
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