0696 - Im Bann des Verfluchten
Name der Frau war Colette Mercier. Assow hatte sie ein paar Tage lang beobachtet, und ein paar Mal hatte er sie wie zufällig im Bistro im Dorf getroffen und sie auch angesprochen.
Die Mercier war eine gefährliche Frau, das war Bernd Assow sofort klar geworden. Sie hatte versucht, mit ihm zu spielen, und er hatte sich entschlossen, sich zurückzuhalten, um sie nicht misstrauisch zu machen.
Dann hatte ihn der Fall der verschwundenen Mädchen immer mehr in seinen Bann gezogen, und nun saß er hier und wollte das Haus des geheimnisvollen Malers beobachten, den er verdächtigte, mit dem Verschwinden der drei Mädchen zu tun zu haben…
Bernd schwitzte. Mit dem Handrücken wischte er über seine hohe Stirn. Seine Augenbrauen hatten die gleiche Farbe wie sein Haar, sie waren ebenso hellblond, beinahe schon weiß.
Er hatte das Haar sehr kurz geschnitten, es passte einfach besser zu seinem sportlichen Typ. Bernd hob nun sein Glas und schaute hindurch.
Die Sehschärfe hatte er einmal eingestellt und brauchte sie auch nicht weiter zu korrigieren.
Langsam und sehr geduldig ließ er das Glas nach links wandern. Sein Kopf machte die Bewegung dabei mit. Vor den beiden kreisrunden Ausschnitten glitt die Dorflandschaft vorbei.
Er sah die Häuser, er schaute über die Dächer hinweg, sah die Schornsteine und Kamine wie starre Finger, aus deren Löchern kein Rauch mehr strömte. Um diese Zeit heizten nur die wenigsten Menschen ihre Kamine an.
Sein Ziel lag günstig, weil es höher stand als die meisten der anderen Bauten.
Es schmiegte sich an einen Steilhang, gehörte eigentlich noch zum Dorf, auch wenn es schon etwas außerhalb lag und man es nur durch eine schmale Gasse erreichen konnte.
Das Haus bestand aus zwei Etagen. Die Untere war normal gebaut, möglicherweise sogar zu niedrig, denn die Fenster waren kaum größer als Luken. Aber der Teil darüber, die zweite Etage, war für dieses Dorf schon ein architektonisches Meisterwerk.
Es war eine Front aus Glas, die den Betrachter immer wieder anzog. Von der Ferne aus wirkte sie, als wäre sie in den Fels hineingebaut worden, nur wer näher herankam, der erkannte, dass es zwischen der Außenfront und dem Fels doch einen Abstand gab, der auch sein musste, weil die breiten Scheiben durch runde Eisenträger mit dem grauen Fels verbunden waren.
Und dort wohnte er.
Er hieß Rafugil, war Künstler, vor allen Dingen Maler, und lebte hier in La Rostelle wie der Mann im Mond. Nur sehr selten erschien er im Ort. Wenn, dann nur, um rasch wieder wegzuhuschen, eingehüllt in einen dunklen Mantel, mit einem großen, breitkrempigen Hut, der einen Großteil seines Gesichts verdeckte.
Immer näher kam Bernd Assow der großen Außenfront. Hinter dem Glas schimmerte Licht. Das konnte er nur deshalb erkennen, weil er sich diesen Teil des Hauses mit Hilfe des Feldstechers so nahe heranholte. Es war ein gelblichrotes, nicht sehr strahlendes, mehr geheimnisvolles Licht, keines, dessen Helligkeit es einem Menschen ermöglichte, einer Arbeit nachzugehen.
Ein Alibi-Licht…
Assow schaute trotzdem hin. Vielleicht hatte er Glück. Vielleicht sah er den Maler diesmal, den er in Verdacht hatte, für das Verschwinden der jungen Frauen und Mädchen verantwortlich zu sein.
Wenn man darüber mit den Bewohnern von La Rostelle sprach, erntete man nur ein Schulterzucken.
Damit gab er sich nicht zufrieden. Diesen Rafugil umgab ein Geheimnis, und seiner Ansicht nach war es ein schreckliches. So furchtbar, dass sich der Verstand weigerte, darüber nachzudenken.
An manchen Stellen schimmerte die Scheibe wie dunkles Metall. Dennoch konnte sie Bernd Assow den Blick ins Innere nicht völlig verbergen. Er entdeckte zumindest Umrisse.
Als Maler benötigte man eine Staffelei, wenigstens wenn man nach alter Väter Sitte vorgehen wollte.
Dazu zählte auch Rafugil, er hatte gleich zwei große Staffeleien in sein Atelier gestellt, die in einem bestimmten Winkel zueinander standen und gegen die stets das Licht fiel, das für einen Künstler so wichtig war.
Nichts bewegte sich hinter der Scheibe.
Oder doch?
Bernd war für einen Moment irritiert. Schlagartig stieg sein Adrenalinspiegel, das Herz klopfte etwas schneller, denn er hatte nahe der Lichtquelle innerhalb des Ateliers eine Bewegung erkannt.
Sie stammte weder von einem Tier oder einem Gegenstand wie einer Tür, die sich bewegte.
Da ging jemand umher.
Ein Mensch…
Eine Frau!
Zischend stieß Bernd die Luft aus. Damit hätte er eigentlich rechnen
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