0696 - Im Bann des Verfluchten
Fenster gegen den Himmel. Für mich ein Beweis, dass ihr noch ein Problem beschäftigte.
»Ist was, Sir?«
»Das ist schwer zu sagen«, murmelte er und gab sich in diesen Augenblicken sehr menschlich. »Ich kann einfach nicht daran glauben, dass Assow nur einfach Urlaub gemacht hat.«
»Warum nicht?« fragte Suko.
»Sie haben mein Gespräch mit König nicht mitbekommen, weil ich den Lautsprecher ausschaltete. Er hatte mich darum gebeten. Dieser Bernd Assow hat den Urlaub nur als Tarnung benützt. Tatsächlich arbeitete er an einem Fall.«
Jetzt stieg die Spannung.
»Und woran, Sir?«
Hinter den dicken Brillengläsern bewegten sich die Augen und richteten sich auf mich. »Angeblich hat sich in La Rostelle eine Person versteckt, die man als größten Rauschgift-Kurier Europas bezeichnet und die sich ausruhen wollte, weil gewisse Banden einen neuen Markt erobern wollen, nämlich die neuen deutschen Bundesländer. Man wollte diesem Kurier auf der Spur bleiben.«
»Hat er sich tatsächlich dort versteckt?«, fragte Suko.
»Ja, die Person stammt aus La Rostelle. Sie ist dort geboren, auch wenn sie schon lange nicht mehr da lebt. Aber sie zieht sich wohl des Öfteren nach La Rostelle zurück.«
»Schön«, sagte ich, »und wie heißt der Mann?«
Sir James schüttelte den Kopf. »Irrtum, John, das ist kein Mann, es ist eine Frau. Sie heißt Colette Mercier…«
Wir waren beide baff!
***
Der Mistral war gekommen!
Kühl fegte er von Norden über das Land, befreite den Himmel von seiner Wolkenpracht, aber er drang in die Körper der Menschen ein und veränderte die Personen. Dabei waren Männer, Frauen und Kinder gleichsam betroffen.
Der Mistral sorgte dafür, dass berufliche Leistungen auf ein Minimum zusammenschrumpften, und glich dies leider aus, indem er andere Kräfte weckte.
Er spülte die Aggressionen hoch. Die Menschen reagierten gereizt, manche sogar überreizt und andere wiederum direkt gefährlich und gewalttätig. Man kannte das, man kannte auch die Personen, die er besonders beeinflusste, und ließ sie deshalb in Ruhe.
Es war kein Wetter, es war ein Zustand. Mal dunkel, mal hell, mal klar, dann wieder bedeckt, ein ewiges Wechselspiel des Wetters, ein Taumel zwischen dem Hochgefühl auf der einen und der Depression auf der anderen Seite.
Das wussten auch die Bewohner von La Rostelle und richteten sich danach. Wer nicht unbedingt weg musste, der blieb im Ort oder versteckte sich in seinem Haus.
Selbst in manchen Familien kam es vor, dass das eine Mitglied das andere belauerte, und ein falsches Wort konnte eine mittlere Katastrophe auslösen.
Der Mistral war böse…
Das wusste auch Edna, die grauhaarige Frau und Haushälterin des Malers Rafugil, die von den Jahren ihres Lebens alle in La Rostelle verbracht hatte, weder Familie noch Freunde hatte und froh gewesen war, bei Rafugil untergekommen zu sein.
Sie lebte in seinem Haus, wo sie schalten und walten konnte, wo sie die Herrscherin über gewisse Räume war und nur das Atelier nicht betreten durfte, es sei denn, der Maler erlaubte es ihr.
Das geschah nicht sehr häufig, denn er war ein Einzelgänger, der wenig über seine Arbeit sprach und so gut wie keinen Blick auf seine Bilder gestattete, die er verdeckt hatte, wenn er ihr die Erlaubnis gab, das Atelier zu betreten.
Edna hatte eine sehr menschliche Eigenschaft. Sie war äußerst neugierig, sie wusste alles über den Dorfklatsch, aber sie hütete sich, ihren Chef nach seinen Arbeiten zu fragen, wobei sie sich sagte, dass sie irgendwann einmal einen Blick auf seine Bilder werfen würde, sogar mit seiner Erlaubnis, das hatte er ihr versprochen.
An diesem Mittag hockte sie in der Küche vor dem klobigen Holztisch und hatte ihr Füße gegen den roten Steinboden gestemmt. Mit beiden Händen umklammerte sie eine Schale, die halb mit Kaffee gefüllt war, der wegen der Menge an Milch eine rehbraune Farbe zeigte. Edna trug ein graues Kleid und hatte ihre alte Schürze umgebunden. Auf einem Teller lagen die Reste des Baguettes, das sie nicht mehr essen wollte, das aber Fliegen angelockt hatte, die ihre Kreise über den mit Käse belegten Brotstücken drehten.
Edna starrte gegen das Fenster, und trotzdem ins Leere. Es war ein trüber Tag heute, der Mistral heulte durch die Gassen und erzeugte manchmal wimmernde Geräusche, wenn er sich an irgendwelchen Ecken und Kanten fing, als würden dort die Seelen der Toten jammern, weil sie keine Ruhe finden konnten.
Auch dieses große Haus wirkte wie tot.
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