0698 - Karneval des Todes
in Lyon in einen Spiegel gezogen worden waren. [4]
Aber die Situation konnte man nicht vergleichen. Dieser Spiegel von Claudia Salvador funktionierte ganz offensichtlich wie eine Leinwand, auf die Claudias Erinnerungen geworfen wurden.
Der Spiegel zeigte deutliche Bilder, wenn auch ohne Ton.
Männer in prunkvoller mittelalterlicher Kleidung huldigten einem Mann auf einem Thron. Er trug eine merkwürdige Mütze auf dem Kopf.
Andere Männer wurden hereingeführt. Sie waren gefesselt. An ihren Turbanen und ihren Kleidern erkannte man, dass es Orientalen sein mussten.
»Türkische Gefangene«, erläuterte Claudia.
Der Mann auf dem Thron sprang auf. Er schien etwas zu brüllen. Dann begann einer der prunkvoll Gewandeten, den wehrlosen Gefesselten die Köpfe abzuschlagen!
Nicole wandte den Kopf zur Seite.
»Wer ist dieser Teufel in Menschengestalt?«, knurrte Zamorra. »Ist es ein Doge?«
Die Magierin hob anerkennend eine Augenbraue.
»Sie kennen sich in venezianischer Geschichte aus, ich bin erstaunt. Sie wissen, was ein Doge ist…«
»Die Dogen waren die Staatsoberhäupter der Republik Venedig«, erinnerte sich Zamorra. »Und dass Venedig gegen die Türken Krieg geführt hat, wusste ich auch. Aber diese Grausamkeit…«
Die Magierin deutete wieder auf den Spiegel.
»Schauen Sie, wie es weitergeht.«
Der Doge war nun allein mit einem kleinen alten Turbanträger zu sehen.
»Dieser Türke war seinerzeit ein bekannter Schwarzmagier«, erklärte Claudia. »Der Doge hat mit ihm einen Pakt geschlossen. Er würde seinen Sohn verschonen und ihm eine Jungfrau opfern. Im Gegenzug sollte der Schwarzmagier ihm seine Kunst zeigen.«
»Habe ich das richtig verstanden?«, vergewisserte sich Nicole. »Einer der Dogen in Venedigs Geschichte stand mit den Mächten des Bösen im Bund?«
»Nein.«
»Nein?« Zamorra uñd Nicole kapierten überhaupt nichts mehr.
»Diesen bösen Dogen«, erläuterte die Magierin mit einem traurigen Lächeln, »nenne ich den Dogen, den es niemals gab. Er war eine Art Gegenpapst, wenn Ihnen das was sagt. Sein Name wurde aus den Geschichtsbüchern getilgt. Dass es ihn überhaupt gab, ist eines der bestgehüteten Geheimnisse Venedigs.«
»Hat sich der türkische Schwarzmagier auf den Handel eingelassen?«, forschte Zamorra.
»Sehen Sie selbst.«
Nun sah man einen Gefängnistrakt. Wahrscheinlich waren es die berüchtigten venezianischen Bleikammern. Eine halb nackte junge Frau lag auf einem schmutzigen Strohsack. Ihr Kopf wurde durch einen schwarzen Beutel verhüllt. Nur ein paar Kleiderfetzen bedeckten ihre Blöße.
Der böse Doge betrat den Kerker. Er schien die Gefangene zu verhöhnen. Dann befahl er offenbar den Schergen, sie aufzuheben und wegzuschaffen.
Die halb Nackte wurde hinausgeschleift. Das nächste Bild zeigte, wie sie mit dem Gesicht nach unten auf eine Folterbank gebunden wurde.
Der böse Doge riss ihr die letzten Fetzen vom Leib.
Nicole ballte in ohnmächtigem Zorn die Fäuste.
Dann streute der Mann in dem Spiegel ein Pulver auf den Boden und zündete es an. Ein riesiger schwarzer Dämon erschien und beugte sich gierig über die Gefangene.
»Das Jungfrauenopfer«, sagte Nicole mit belegter Stimme. »Das arme Mädchen! Was muss sie durchgemacht haben…«
»Das kann ich Ihnen ganz genau sagen, Nicole«, erwiderte Claudia Salvador leise. »Denn diese Opferjungfrau war ich.«
***
Jetzt verstanden die beiden Dämonenjäger erst richtig, warum dieser Raum Kammer der Schmerzen hieß.
»Der Dämon hätte mich zerrissen.« Die Magierin von Cannaregio atmete tief durch. »Ich war damals noch jung, wie Sie sehen können. Meine angeborenen Fähigkeiten waren noch nicht so ausgebildet. Aber sie haben mich gerettet.«
»Angeborene Fähigkeiten?«, hakte Zamorra nach.
Claudia Salvador, nickte.
»Ich stamme aus einer Familie von Zauberern. Doch die Geheimnisse unserer Kunst vererben sich immer nur von der Mutter auf die Tochter. Zudem benötigt man später natürlich Lehrmeister, um mit den Kräften richtig umgehen zu können. - Wahrscheinlich war es schlicht und einfach Eifersucht, die meinen Bruder zunächst dazu getrieben hat, mich dem Dämon opfern zu wollen. Später wurde er dann ja selbst ein Schwarzblüter…«
»Moment mal!« Zamorra holte tief Luft. »Habe ich das richtig verstanden? Dieser böse Doge, der Sie als Opferjungfrau auserkoren hat…«
»… ist mein Bruder«, ergänzte Claudia Salvador. »Und seit er ein Dämon ist, nennt er sich nur nur
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