0698 - Karneval des Todes
Palazzo direkt hinter ihm und im touristischen Zentrum um den Canal Grande herum unzählige Karnevalspartys im Gange waren. Und doch hatte er die bunt kostümierten Amüsierwilligen selbst gesehen.
Zamorra achtete jetzt eigentlich nur auf ein Kostüm.. Auf das eines mittelalterlichen Pestarztes nämlich.
Doch auf der kleinen Piazza vor dem Palazzo war weder eine solche Verkleidung zu sehen noch eine andere. Und zwar deshalb nicht, weil weit und breit kein Mensch und wohl auch kein Dämon zu erkennen war.
Allerdings konnte Zamorra sich immer noch auf sein Amulett verlassen, das ihm die Nähe von dämonischen Aktivitäten anzeigen würde.
Doch kaum war ihm dieser Gedanke durch den Kopf gegangen, als Nicole auch schon Merlins Stern rief.
Zamorra biss sich auf die Lippen. Zwar hatte er selbst immer noch sei nen Dhyarra-Kristall als Anti-Schwarzblüter-Waffe. Doch der Ruf konnte nur eines bedeuten: Seine Lebens- und Kampfgefährtin steckte in Schwierigkeiten. Und zwar im Palazzo!
Natürlich war es Emilio nicht entgangen, dass die Silberscheibe, die Zamorra vor der Brust trug, plötzlich verschwand.
Mit einigen knappen Sätzen erklärte der Dämonenjäger dem Golem die Sachlage.
Emilio hätte durch die Zähne gepfiffen, wenn er welche gehabt hätte.
»Verflucht! Dann ist gewiss auch meine Herrin in Gefahr! Wir sollten besser in den Palazzo zurückkehren, Professore.«
Sie befanden sich erst ungefähr zehn Schritte von der kleinen Eingangstreppe entfernt. Wahrscheinlich wäre es wirklich das Beste , überlegte Zamorra.
Doch gleich darauf ertönte ein leises Surren. Schwarze Schatten fielen auf den Menschen und den Golem herab.
Plötzlich waren sie von Grauen erregenden Kreaturen eingekreist!
***
Beppo hatte die dämonische Gefahr längst vergessen.
Zu sehr war der Alpinizwerg beeindruckt von dieser grandiosen Karnevalsfeier. Wegen seiner Kleinwüchsigkeit bekam er zwar viele Dinge nicht recht mit, auch wenn er noch so sehr seinen Hals verrenkte. Aber das, was er sah, hörte und schmeckte, gefiel ihm dafür umso mehr.
Der Gnom aus der Bergeinsamkeit probierte zum ersten Mal in seinem zweihundertunddreijährigen Leben Champagner, der ihm prompt in sein Köpfchen stieg. Den selbst gebrannten Gletscherschnaps seiner kargen Heimat gab es nur einmal im Jahr, zum Geburtstag des Zwergenkönigs Laurin.
Beppo konnte nicht genug bekommen von den originellen Kostümen, der fantasievollen Dekoration und den erlesenen Speisen und Getränken.
Er konnte nicht ahnen, dass diese ganze lustige Atmosphäre nur das Überleben seiner Gastgeberin sichern helfen sollte.
Der Alpinizwerg amüsierte sich also köstlich. Ganz besonders, seit er Blickkontakt zu einer zierlichen Fee aufgenommen hatte…
Das zarte Geschöpf war nicht größer als er selbst, vielleicht sogar noch einige Zentimeter kleiner. Das silbrige Haupthaar flirrte um das hübsche kleine Gesicht, das mit einer winzigen Augenmaske bedeckt war. Der wohl geformte Feenkörper war mit einem Kleid aus grünem Tüll bedeckt, das mehr zeigte als verhüllte.
Der Zwerg hatte nicht viel Erfahrung mit Feen. Aber er wusste, dass diese silberhaarige Schönheit bereits dem Jugendalter entwachsen war. Er schätzte sie auf mindestens hundertundzwölf Jahre…
Beppo war so in ihre Betrachtung versunken, dass er kaum reagierte, als die Fee plötzlich zu ihm herübergeschwebt kam.
Ein glockenhelles Gelächter erklang.
»Ist meine Nase verzaubert? Oder warum starrst du mich schon die ganze Zeit an?«
Der Zwerg wäre vor Scham am liebsten im Erdboden versunken. Aber das war ja hier in Venedig schlecht möglich. Und im Wasser unterzugehen wäre ihm noch schlechter bekommen. Beppo konnte nämlich nicht schwimmen. Wo hätte er diese Kunst in den Berghöhlen seiner alpinen Heimat auch lernen sollen?
»Ich… äh…«
Beppo stammelte und brach dann verschämt ab. Große Reden waren noch nie seine Stärke gewesen. Dafür war der Zwerg ein Ass in der Bearbeitung von Bergkristallen. Alles kann man ja nicht können, sagte sich Beppo immer.
»Ich gefalle dir!«, rief die Fee und ließ wieder ihr wohl tönendes Lachen erklingen. »Das ist so klar wie das Wasser unseres Feenteichs.«
»K…kommst du von dort her?«, traute sich Beppo zu sagen.
»Freilich, aus einem verwunschenen Feenteich in der Auvergne. Das ist in Frankreich. Ich heiße übrigens Yla.«
»B…Beppo.«
Die Verständigung zwischen den so unterschiedlichen Fabelwesen war auf dieser Karnevalsfeier problemlos möglich.
Weitere Kostenlose Bücher