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07 - Asche zu Asche

07 - Asche zu Asche

Titel: 07 - Asche zu Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Die Gläser ihrer Brille vergrößerten die Augen dramatisch. »Dad wollte nie, daß du rauchst«, sagte sie. »Er hat Mam auch immer gesagt, sie soll aufhören.«
    Jimmy schloß die Finger um die Zigarettenpackung. Er hörte das Papier knistern, als er sie zusammendrückte.
    »Glaubst du, wenn sie zu rauchen aufgehört hätte ...« Sharon hüstelte, als müßte sie sich räuspern. »Ich meine, er hat es doch so oft zu ihr gesagt. Immer hat er gesagt: ›Jean, du mußt mit der Qualmerei aufhören. Du bringst dich um. Du bringst uns alle um.‹ Ich hab oft gedacht, daß er vielleicht -«
    »So ein Quatsch!« fuhr Jimmy sie an. »Männer verlassen ihre Frauen nicht, weil sie rauchen. Wie kann man nur so blöd sein.«
    Sharon wandte sich ihrem Notizbuch zu, das aufgeschlagen auf dem Tisch lag. Behutsam blätterte sie mehrere Seiten zurück bis zu der Skizze eines braunen Vogels mit feiner Zeichnung. Jimmy sah den Namen »Ziegenmelker« säuberlich darunter geschrieben.
    »War's dann wegen uns?« fragte sie. »Weil er uns nicht haben wollte? Glaubst du, daß es deshalb war?«
    Eisige Kälte legte sich um Jimmys Herz. Er nahm sich noch ein Cremehütchen, holte die gestohlenen Früchte aus seiner Windjacke und legte sie auf den Tisch. Er hatte das Gefühl, sein Magen wäre voller Steine, aber er nahm dennoch die Nektarine und biß beinahe trotzig hinein.
    »Warum dann?« beharrte Sharon. »Hat Mam was Schlimmes getan? Hat sie einen anderen gefunden? Mochte Dad sie nicht -«
    »Hör endlich auf!« Jimmy sprang auf. Er ging mit großen Schritten zum Fluß und rief über seine Schulter zurück: »Ist doch völlig egal. Er ist tot. Halt endlich den Mund.«
    Ihr Gesicht verzog sich, als wollte sie weinen, aber er wandte sich ab. Er hörte sie rufen: »Und du solltest deine Brille aufsetzen, Jimmy. Dad hätte gesagt, du sollst deine Brille aufsetzen.«
    Er stieß wütend die Schuhspitze ins Gras. Stan rannte zu ihm, den Cricketschläger wie ein Ruder hinter sich herziehend.
    »Hast du den Schlag mitgekriegt?« fragte er. »Hast du das gesehen, Jimmy?«
    Jimmy nickte stumm. Er schleuderte seine Nektarine in das Blumenbeet und wollte seine Zigaretten herausholen, merkte aber, daß er sie auf dem Tisch liegengelassen hatte. Er ging zu der Mauer, auf der Tauben und Möwen die Krumen aufpickten, die Sharon ausgestreut hatte. Er lehnte sich an den kalten Stein und starrte in den Fluß.
    »Wirfst du für mich, Jimmy?« fragte Stan drängend. »Bitte! Ich kann gar nicht richtig schlagen, wenn niemand für mich wirft.«
    »Klar«, sagte Jimmy. »Gleich. Okay?«.
    »Okay. Ja.« Stan rannte auf die Wiese zurück und schrie:
    »Shar, du mußt uns zuschauen. Jimmy wirft jetzt gleich.«
    Genau das hätte sein Vater gewünscht. »Du hast einen großartigen Arm, Jim. Und ein tolles Ballgefühl. Komm, gehen wir aufs Feld. Du wirfst. Ich schlage.«
    Am liebsten hätte Jimmy laut aufgeschrieen. Er umklammerte das schmiedeeiserne Geländer auf der Mauer. Er lehnte den Kopf an die Stäbe und schloß die Augen. Es tat zu weh. Um darüber nachzudenken, darüber zu reden, zu versuchen, es zu begreifen ...
    Hat Mam was Schlimmes getan? Hat sie einen anderen gefunden? Mochte Dad sie nicht mehr?
    Jimmy schlug mit der Stirn gegen das Geländer. Er zwang sich, die Augen zu öffnen, und starrte auf den Fluß. Das Wasser war schlammig. Die Strömung war schnell. Er dachte an den Ruderklub in der Saunders Ness Road und an den Liegeplatz, wo der grobe Kies am Wasser immer mit Plastikflaschen, Schokoladenpapieren, Zigarettenkippen, gebrauchten Kondomen und verfaulenden Früchten übersät war. Dort konnte man direkt in den Fluß hineinwaten. Da brauchte man keine Mauer zu übersteigen und nicht über Zäune zu klettern. »Lebensgefahr! Tiefes Wasser! Schwimmen verboten!« lauteten die Warnschilder an dem Lampenpfosten, der dort am Fluß stand. Aber genau das wollte er: Lebensgefahr und tiefes Wasser.
    Dad. Dad. Jimmy hatte das Gefühl, als durchschnitten Glasscherben ihm die Brust. Er wollte fort von hier, von diesem Ort; aber mehr noch wollte er fort aus diesem Leben. Nicht mehr Jimmy sein, nicht mehr Ken Flemings Sohn, nicht mehr der ältere Bruder, von dem erwartet wurde, daß er es Sharon und Stan leichter machte; ein Stein, der irgendwo in einem Garten lag, ein umgestürzter Baum auf dem Land, ein Fußweg durch den Wald. Ein Stuhl, ein Herd, ein Bilderrahmen. Alles, alles, nur nicht der, der er war, wollte er sein.
    »Jimmy?«
    Er sah nach unten. Stan

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