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07 - Asche zu Asche

07 - Asche zu Asche

Titel: 07 - Asche zu Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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sein.«
    Es stehe mir frei, eine zweite Meinung einzuholen, sagte er. Ja, er empfehle mir das sogar. Dann zählte er die Befunde auf, die er gesammelt hatte: die Ergebnisse der Rückenmarkspunktion; der allgemeine Verlust an Muskeltonus, die Schwäche meiner Muskelreaktionen. Er sagte, im allgemeinen befalle die Störung zuerst die Hände, setze sich dann über die Unterarme zu den Schultern fort und breite sich erst später zu den unteren Extremitäten aus. In meinem Fall jedoch scheine sie sich in entgegengesetzter Richtung zu bewegen.
    »Ich kann also sehr wohl etwas ganz anderes haben«, rief ich.
    »Mit Sicherheit könnten Sie gar nichts sagen, richtig?«
    Er meinte zustimmend, die Medizin sei in der Tat keine exakte Wissenschaft. Aber dann fragte er: »Beantworten Sie mir eine Frage. Haben Sie in Ihrem Bein Muskelzittern verspürt?«
    Ich wandte mich wieder dem Fenster zu. Wir hatten die Kastanien an Schnüre gebunden; wir hatten sie durch die Luft geschwungen, wssst-wssst-wssst; wir hatten gespielt, wir seien Cowboys; wir hatten Kälber mit Kastanien eingefangen statt mit Lassos.
    »Livie«, sagte Chris. »Hast du in den Beinen Muskel -«
    »Das hat doch überhaupt nichts zu bedeuten. Außerdem krieg ich das schon wieder weg. Ich muß nur mehr Gymnastik machen.«
    Und das tat ich zu Beginn auch. Ich lief, ich rannte, ich stieg Treppen hinauf und hinunter, ich hob Gewichte. Es ist doch nur eine Muskelschwäche, sagte ich mir. Das steh ich schon durch. Ich hab schließlich schon ganz andere Dinge durchgestanden. Ich hab mich seit langem nicht mehr unterkriegen lassen und werd mich auch davon nicht besiegen lassen.
    Angefeuert von Angst und Zorn, fuhr ich weiterhin mit auf die nächtlichen Überfälle. Ich würde ihnen allen beweisen, daß sie sich irrten. Ich würde meinen Körper so weit bringen, daß er wie eine Maschine funktionierte.
    Fünf Monate lang ließ Chris mir meine Stellung als Befreier. Bis zu der Nacht, in der ich zum erstenmal das Tempo nicht mithalten konnte. Da versetzte er mich zu den Wachen und sagte: »Keine Widerrede, Livie«, als ich brüllte: »Das darfst du nicht. Du machst mich ja zum Gespött. Du läßt mir gar keine Chance, meine Kräfte wiederaufzubauen. Ich möchte dabei sein, bei euch, bei den anderen, Chris!« Er meinte, ich müsse den Tatsachen ins Auge sehen. Ich entgegnete, wir würden ja sehen, was Sache sei, und begab mich zu einer weiteren Runde Untersuchungen ins Lehrkrankenhaus.
    Die Ergebnisse waren die gleichen. Die Atmosphäre, in der sie mir mitgeteilt wurden, war anders. Kein luxuriöses Sprechzimmer diesmal, sondern ein bescheidener kleiner Raum an einem belebten Korridor, durch den die Totenbahren rollten. Als die Ärztin die Tür schloß, ihren Sessel so schob, daß sie mir ins Gesicht sehen konnte, und mir so nahe kam, daß ihre Knie fast die meinen berührten, wußte ich es.
    Sie verweilte bei den wenigen positiven Aspekten, die es gab, aber sie nannte ALS eine Krankheit und benutzte nicht das leichter verdauliche Wort Störung. Sie sagte, mein Zustand werde sich beständig verschlechtern, aber langsam, langsam, betonte sie. Meine Muskeln würden erst schwach werden, dann verkümmern. Mit zunehmender Degeneration würden die Zellen in Gehirn und Rückenmark anfangen, unregelmäßige Impulse an die Muskeln in meinen Armen und Beinen auszusenden, was starkes Zittern hervorrufen würde. Die Krankheit würde von meinen Füßen und Beinen, von meinen Händen und Armen immer weiter nach innen fortschreiten, bis ich völlig gelähmt wäre. Aber, versicherte sie mir in mütterlichem Ton, ich würde immer die Kontrolle über meine Blase und meinen Schließmuskel behalten. Und mein Geist und mein Bewußtsein würden selbst in den letzten Stadien der Krankheit, wenn diese die Lunge ergriffe, nicht in Mitleidenschaft gezogen werden.
    »Sie meinen, ich werde genau mitkriegen, wie ekelhaft ich bin«, sagte ich.
    Sie legte die Fingerspitzen auf meine Kniescheibe und sagte:
    »Ich bezweifle sehr, daß Stephen Hawking sich ekelhaft findet, Olivia. Sie wissen doch, wer er ist?«
    »Stephen Hawking? Was hat er denn damit -« Ich rutschte mit meinem Sessel rückwärts. Ich hatte ihn in Zeitungen gesehen und im Fernsehen. Den elektrischen Rollstuhl, die Pfleger, die Computerstimme. »Das ist ALS?« fragte ich.
    Die Ärztin antwortete: »Ja. Eine Erkrankung der motorischen Neuronen. Es ist großartig, wie er seit Jahren allen Voraussagen trotzt. Alles ist möglich, das dürfen Sie nie

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