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07 - Asche zu Asche

07 - Asche zu Asche

Titel: 07 - Asche zu Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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welchen Lendenwirbel peilen Sie eigentlich genau an, Harris?« Danach lag ich in der vorgeschriebenen Position - flach auf dem Rücken - und versuchte, den rasenden Pulsschlag in meiner Wirbelsäule zu ignorieren und das Gefühl düsterer Vorahnung zu unterdrücken, das mich an diesem Morgen im Bett überfallen hatte, als die Muskeln in meinem rechten Bein zu vibrieren begannen, als hätten sie ein eigenes Leben.
    Ich schob es auf die Nerven.
    Die letzte Untersuchung fand mehrere Tage später statt, im Behandlungszimmer des Arztes. Dort mußte ich mich auf einen Tisch setzen, der mit feinstem Leder bezogen war, und er legte seine offene Hand an meinen rechten Fußballen.
    »Drücken Sie«, sagte er.
    Ich tat, was ich konnte.
    »Noch einmal.«
    Ich drückte wieder.
    Er legte seine Hände an meine. »Drücken Sie.«
    »Hier geht's doch nicht um meine Hände.«
    »Drücken Sie.«
    Ich drückte.
    Er nickte, notierte sich etwas, nickte wieder. »Kommen Sie«, sagte er und kehrte mit mir in sein Sprechzimmer zurück. Dann verschwand er. Und kam mit Chris wieder.
    Ich wurde ärgerlich. »Was soll das?« fragte ich aufgebracht, doch anstatt zu antworten, bat er uns zu einem Sofa, über dem ein großes Gemälde hing, ein in dunklen Tönen gehaltenes ländliches Idyll: Berge, ein Bach, grüne Bäume, Kühe und die junge Hirtin mit einem Stab in der Hand. Merkwürdig, daß mir, neben all den Details jenes späten Vormittags in der Harley Street, dieses Gemälde im Gedächtnis geblieben ist. Dabei warf ich nur einen Blick darauf.
    Der Arzt zog sich einen Sessel heran und gesellte sich zu uns. Er brachte meine Akte mit, aber er sah nicht hinein. Er setzte sich, legte die Mappe auf seinen Schoß und goß sich aus einer Karaffe, die zwischen uns auf dem Tisch stand, Wasser ein. Er hielt die Karaffe einladend hoch.
    Chris lehnte ab. Ich fühlte mich wie ausgedörrt und sagte ja- »Es scheint sich um eine Störung zu handeln, die man amyotrophische Lateralsklerose nennt«, sagte der Arzt.
    Die Spannung strömte aus mir heraus wie Wasser, das einen Deich durchbricht. Eine Störung. Halleluja! Nur eine Störung! Keine Krankheit. Kein Tumor. Kein Krebs. Gott sei Dank.
    Chris, der neben mir saß, beugte sich vor. »Amy- was?«
    »Amyotrophische Lateralsklerose. Das ist eine Störung der Neuronen. Sie wird allgemein mit ALS abgekürzt.«
    »Und was nimmt man dagegen?« fragte ich.
    »Nichts.«
    »Nichts?«
    »Es gibt leider keine Medikamente.«
    »Ach so. Na ja, bei einer Störung ist das eigentlich ganz verständlich. Was kann ich also dagegen tun? Gymnastik?
    Physiotherapie?«
    Der Arzt zog seinen Finger am Rand der Akte entlang, als wollte er die darin liegenden Papiere, die sowieso schon exakt aufeinander lagen, geraderichten. »So leid es mir tut, es gibt nichts, was man dagegen unternehmen kann.«
    »Heißt das, daß ich mein Leben lang hinken und zucken werde?«
    »Nein«, antwortete er. »Das nicht.«
    In seiner Stimme schwang ein Ton, der mir angst machte. Ich schmeckte plötzlich bittere Galle in meinem Mund. Neben dem Sofa war ein Fenster, und durch den dünnen Vorhang konnte ich einen Baum erkennen, dessen Äste immer noch kahl waren, obwohl es bereits Ende April war. Eine Platane, dachte ich. Die brauchen immer am längsten, bis sie wieder grün werden. Keine verlassenen Vogelnester in den Zweigen; wie schön wäre es, da im Sommer hinaufzuklettern; ich habe nie ein Baumhaus gehabt; ich kann mich an die Kastanien erinnern, die an dem Bach in Kent wuchsen ... und an das Spiel, bei dem wir die Kastanien an eine Schnur banden und dann versuchten, einander zu treffen. Wie das Lasso eines Cowboys sauste die Kastanie an der Schnur über meinem Kopf durch die Luft.
    »Es tut mir sehr leid, Ihnen das sagen zu müssen«, sagte der Arzt, »aber es ist -«
    »Ich will es nicht wissen.«
    »Livie!« Chris griff nach meiner Hand. Ich stieß ihn weg.
    »Es ist leider eine fortschreitende Störung«, erklärte der Arzt.
    Ich merkte genau, daß er mich beobachtete, aber ich starrte weiter zu dem Baum hinaus.
    Es sei eine Störung des Rückenmarks, erklärte er ganz langsam, damit ich es auch verstehen konnte, eine Degeneration der Pyramidenbahnen, der motorischen Vorderhirnzellen sowie der die motorischen Zentren verbindenden spinalen Fasern. Sie resultierte in einer fortschreitenden Schwächung und letztlich Atrophie der Muskeln.
    »Sie wissen gar nicht mit Sicherheit, ob ich das habe«, widersprach ich. »Sie können nicht sicher

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