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07 - Asche zu Asche

07 - Asche zu Asche

Titel: 07 - Asche zu Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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die Todeszeit irgendwann gegen Mitternacht in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag liegen mußte. Mir wurde schrecklich beklommen zumute. Ganz gleich, was meine Mutter mir am Donnerstag in den frühen Morgenstunden über Kenneth Flemings Verbleib gesagt hatte, an einer Tatsache war nicht zu rütteln: Er konnte nicht gleichzeitig am Flughafen und in unserem Haus in Kent gewesen sein. Entweder lag der untersuchende Arzt völlig daneben, oder meine Mutter hatte gelogen.
    Ich mußte mir Klarheit verschaffen. Ich rief bei ihr an, aber sie meldete sich nicht. Ich versuchte es den ganzen Tag bis in den Abend hinein immer wieder. Und am folgenden Nachmittag hielt ich es nicht mehr aus.
    Ich fragte Chris, ob er jetzt mit mir nach Kensington fahren könne. Ich sagte, ich wolle Mutter allein sprechen, wenn es ihm nichts ausmache. Weil sie sicherlich ganz gebrochen sei und niemanden sehen wolle, der nicht zur Familie gehörte.
    Chris meinte, das könne er verstehen. Er würde mich nur absetzen. Er würde dann auf meinen Anruf warten und mich wieder abholen.
    Ich läutete nicht, als ich endlich den beschwerlichen Weg die sieben Stufen hinauf bewältigt hatte. Ich sperrte mit meinem Schlüssel auf und ging hinein. Als ich die Haustür hinter mir zugezogen hatte, sah ich, daß die Türen zum Eßzimmer und zum kleinen Salon geschlossen waren. Vor dem Fenster auf der anderen Seite, das zum Garten hinausblickte, waren die Vorhänge zugezogen. Ich blieb in der Düsternis des Flurs stehen und lauschte in die tiefe Stille des Hauses hinein.
    »Mutter?« rief ich mit aller Festigkeit, die ich aufbringen konnte. »Bist du hier?«
    Es war wie am Mittwoch abend: Ich erhielt keine Antwort. Ich ging zum Eßzimmer und öffnete die Tür. Licht fiel in den Flur und beleuchtete den Treppenpfosten. Dort hing eine Umhängetasche. Ich ging hin und strich mit den Fingern über das weiche Leder. Irgendwo über mir knarrte eine Diele. Ich hob den Kopf und rief: »Mutter?« Als es still blieb, fügte ich hinzu:
    »Ich habe Chris nicht mitgebracht. Ich bin allein.«
    Mit zusammengekniffenen Augen spähte ich die Treppe hinauf. Sie verlor sich in der Dunkelheit. Es war früher Nachmittag, aber indem sie alle Türen und Vorhänge geschlossen hatte, war es ihr gelungen, das Haus in ein nächtliches Grab zu verwandeln. Ich konnte nichts sehen als Schemen und Schatten.
    »Ich habe die Zeitungen gelesen.« Ich sandte meine Stimme nach oben, in die erste Etage des Hauses. Dort mußte sie sein, vor ihrer Schlafzimmertür stehend, an das Holz der Füllung gelehnt, die Hände hinter sich am Türknauf. »Ich weiß das von Kenneth. Es tut mir so leid, Mutter.« Spiel Theater, dachte ich. Tu so, als hätte sich nichts verändert. »Nachdem ich von dem Feuer gelesen hatte, mußte ich kommen«, sagte ich. »Wie schrecklich für dich. Mutter, ist alles in Ordnung?«
    Ein Seufzer schien von oben herabzuschweben, aber es hätte auch ein Windhauch sein können, der durch das dunkle Fenster am Ende des Korridors drang. Ein Rascheln folgte. Dann begannen die Stufen der Treppe zu knarren, als sich etwas unendlich langsam herunterbewegte.
    Ich trat vom Treppenpfosten zurück. Während ich wartete, überlegte ich, was wir zueinander sagen würden. Wie kann ich diese Vorstellung aufrechterhalten, fragte ich mich. Sie ist deine Mutter, antwortete ich mir selbst, du mußt einfach. Während sie langsam den ersten Treppenabsatz herabstieg, zerbrach ich mir den Kopf nach einer passenden Bemerkung. Als sie durch den Flur über mir ging, öffnete ich die Tür zum kleinen Salon. Ich zog die Vorhänge am Fenster zum Garten auf. Dann schleppte ich mich wieder zur Treppe zurück und wartete auf sie.
    Im Zwischengeschoß machte sie halt. Ihre linke Hand umklammerte das Treppengeländer. Die rechte hielt sie, zur Faust geballt, an die Brust gepreßt. Sie hatte denselben Morgenrock an, den sie am Donnerstag früh übergezogen hatte. Aber die ungewöhnliche Energie, die Chris an ihr aufgefallen war und die, wie ich jetzt erkannte, die Folge äußerster Nervenanspannung gewesen war, fehlte ihr jetzt.
    »Als ich das las, mußte ich kommen«, wiederholte ich. »Wie geht es dir, Mutter?«
    Sie kam die letzten Treppen herunter. Im kleinen Salon begann das Telefon zu läuten, doch sie gab durch nichts zu erkennen, daß sie das Geräusch hörte. Es schrillte beharrlich weiter. Ich drehte den Kopf zur offenen Tür und überlegte, ob ich an den Apparat gehen sollte.
    »Zeitungen«, sagte Mutter.

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