0631 - Eine Handvoll Monster
Er war sicher, daß Stygia, die Fürstin der Finsternis, nicht mehr mit ihm rechnete. Sie hatte ihn mit einem magischen Schlag aus dem Universum gefegt, den er eigentlich nicht hätte überleben dürfen.
Aber er hatte ihn überstanden. Stygia hatte lediglich einen der magischen Schatten vernichten können. Einen der Schatten, von denen er nicht sicher war, ob er sie wirklich benötigte.
Diese fremden Schatten besaß er, seit er aus einem Alptraum zurückgekehrt war, von dem er jetzt wußte, daß er auf eine unbegreifliche Weise Wirklichkeit gewesen war. Die Schattenmacht hatte damals verhindert, daß er an einem von Zamorra geworfenen Dolch starb. [1]
Seit jener Zeit war er aber auch ein Diener des Lucifuge Rofocale.
Warum, begriff er nicht. Doch seit er erkannt hatte, daß er damals nicht nur träumte, fühlte er sich sicherer. Er war nicht mehr von Stygia abhängig. Er hatte einen mächtigeren Herrn.
Der hatte sich ihm gegenüber bisher noch nicht bemerkbar gemacht.
Da war eine vage Hoffnung, daß er nicht einmal etwas von seinem neuen Diener wußte, daß all das, was mit dieser Magie zusammenhing, gewissermaßen automatisch abgelaufen war. Aber diese Hoffnung war wirklich nur sehr vage. Vermutlich würde sich Lucifuge Rofocale schon sehr bald bei seinem neuen Diener ›melden‹.
Bis dahin hatte Calderone freie Hand.
Denn mittlerweile hatte Stygia ihn aus ihrem Dienst ›entlassen‹. Auf ihre Weise - indem sie ihn beseitigte.
Genauer gesagt, sie hatte versucht, ihn zu beseitigen. Sie ahnte nicht, daß es ihn noch gab. Das sollte eine Überraschung für sie werden!
Sie hielt ihn für einen Versager. Zweimal hatte er in ihrem Auftrag versucht, eine tödliche Falle für Zamorra aufzustellen. Beide Male war es schiefgegangen. Das war für Calderone kein Grund zur Aufregung; er wußte nur zu gut, mit welchen starken und gerissenen Gegnern er es zu tun hatte. Da konnte einfach nicht alles auf Anhieb klappen.
Die Fürstin der Finsternis sah das anders.
Sie duldete keine Fehlschläge, die sie als Versagen betrachtete. Zweimal hatte es nicht funktioniert. Das war für sie Grund genug, den ›Versager‹ zu bestrafen und sich seiner zu entledigen.
Dabei wertete sie mit zweierlei Maß. Calderone wußte, daß sie selbst schon viel öfter gegen Zamorra und seine Mitstreiter versagt hatte. Dafür hatte sie sich selbst natürlich nicht bestraft…
Calderone verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. Diese Närrin! Sie hatte ihn verraten. Er hatte ihr geholfen, hatte alles gegeben, um für sie zu arbeiten, und sie hatte dafür versucht, ihn umzubringen! Gut, er hatte nicht unbedingt Dank erwartet; schließlich wußte er, daß er es mit einer Dämonin zu tun hatte. Aber daß sie soweit ging, für Kleinigkeiten, die sie bei sich selbst völlig ignorierte und verdrängte…
Dafür würde er sie zur Rechenschaft ziehen.
Aber allein ging das nicht.
Sein bester Helfer wäre natürlich sein stärkster Helfer gewesen - sein neuer Herr, Lucifuge Rofocale. Doch es war fraglich, ob der Erzdämon seinem neuen Diener den Gefallen tun würde, ihn gegen Stygia zu stärken.
Natürlich würde er es können. Aber warum sollte er es tun? Wenn er mit ihr als Fürstin der Finsternis nicht einverstanden gewesen wäre, hätte er sie längst entfernen können. Er würde kaum eines Menschen wegen gegen sie vorgehen.
Außerdem wollte Calderone ihn nicht unnötig auf sich aufmerksam machen. Es reichte, wenn Lucifuge Rofocale ihn irgendwann von selbst fand und in seinen Dienst preßte. Und dann zumindest konnte er nicht sagen, Calderone hätte seinerseits schon einmal einen Gefallen von ihm erbeten und sich ihm damit noch weiter verpflichtet…
Wenn er Stygia angreifen wollte, mußte er es anders anstellen. Er mußte seine Helfer und Verbündeten unter ihren erklärten Feinden suchen.
Damit würde sie garantiert nicht rechnen. Und wenn, dann würde sie einen Angriff diesen Feinden zurechnen.
Vor allem, wenn diese Feinde jene waren, die Calderone gerade noch gemeinsam mit ihr, beziehungsweise in ihrem Auftrag bekämpft hatte!
Es war der Gipfel der Dreistigkeit, daß er sich ausgerechnet an Professor Zamorra wenden wollte…
***
Zamorra dachte an nichts Böses, bis er die schaurigen Klänge vernahm. Er riß die Tür seines Arbeitszimmers auf und lauschte. So etwas Schräges hatte er bisher noch nicht gehört.
Es kam von unten.
Seufzend durcheilte er den Korridor und bewegte sich die Treppe hinunter, der Lärmquelle entgegen.
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