07 - Asche zu Asche
sie im dunklen Korridor gestanden hatte. Dieses ungewohnte Hemdblusenkleid, ihre Erklärung, daß sie sich umziehen müsse, der Alkoholgeruch in ihrem Atem, nachdem sie allzulange gebraucht hatte, um das Kleid mit einem Morgenrock zu vertauschen. Und was war Chris an ihr aufgefallen, als er gekommen war? Die unglaubliche Energie, die um fünf Uhr morgens von ihr ausgegangen war, so ungewöhnlich bei einer Frau ihres Alters. Was hatte das alles zu bedeuten?
Eine Schlinge schien sich um meinen Hals zu legen und immer enger zu werden. Ich wünschte, Max würde gehen, weil ich wußte, wenn er noch lange bliebe, würde ich die Beherrschung verlieren und unsinniges Zeug reden.
Aber worüber reden? Ich muß sie mißverstanden haben, dachte ich. Ich war ja sehr nervös gewesen. Sie hatte mich aus einem unruhigen Schlaf geweckt. Ich hatte nicht genau auf ihre Worte geachtet. Ich war ganz darauf konzentriert gewesen, diese erste Begegnung durchzustehen, ohne daß sie in Beschuldigungen und Anklagen ausuferte. Ja, sie mußte irgend etwas gesagt haben, das ich falsch aufgefaßt hatte.
Als ich am Abend im Bett lag, ging ich die Fakten durch. Sie hatte gesagt, sie hätte ihn zum Flughafen gebracht ... Nein. Sie hatte gesagt, sie käme gerade vom Flughafen, nicht wahr? Seine Maschine habe Verspätung gehabt. Okay. Gut. Wie war es dann abgelaufen? Sie hatte ihn nicht allein dort herumsitzen und warten lassen wollen. Sie war also geblieben, sie hatten noch etwas zusammen getrunken. Schließlich hatte er zu ihr gesagt, sie solle doch nach Hause fahren. Und dann ... was dann? Hatte er dann den Flughafen verlassen und war nach Kent gefahren? Aber warum? Hätte er nicht, selbst wenn seine Maschine Verspätung gehabt hätte, längst eingecheckt gehabt und im internationalen Warteraum oder einer dieser VIP-Lounges gewartet, wo Leute ohne Tickets gar nicht zugelassen wurden ...? Wie kam ich also auf die Idee, Kenneth und Mutter hätten noch irgendwo zusammengesessen und etwas getrunken, während er auf den Abflug seiner Maschine wartete. Nein, das lief so nicht. Ich brauchte etwas anderes.
Vielleicht war der Flug überhaupt gestrichen worden. Möglicherweise war er vom Flughafen nach Kent gefahren, um dort in unserem Haus seinen Urlaub zu verbringen. Er hatte Mutter nichts davon gesagt, weil er gar nicht gewußt hatte, daß er dort hinfahren würde; weil er zu dem Zeitpunkt, als sie vom Flughafen weggefahren war, noch nicht gewußt hatte, daß der Flug abgesagt werden würde. Ja. Ja, so mußte es gewesen sein. Er war nach Kent gefahren. Und in Kent war er gestorben. Durch ein Feuer. Ein durchgeschmortes Kabel, sprühende Funken, ein schwelender Teppich, dann die Flammen, in denen er umgekommen war. Ein schrecklicher Unfall. Ja, ja. So war es sicher gewesen.
Die Erleichterung, die ich bei dieser Lösung verspürte, war unglaublich. Was, um Gottes willen, hatte ich gedacht? fragte ich mich. Und warum, um Gottes willen, hatte ich es gedacht?
Als Chris mit meinem Morgentee hereinkam, stellte er die Tasse auf das Bord neben dem Bett. Er setzte sich zu mir und meinte: »Wann fahren wir?«
»Fahren?« fragte ich.
»Zu ihr. Du möchtest doch zu ihr, nicht wahr?«
Ich murmelte ein Ja. Ich bat ihn, mir eine Zeitung zu besorgen.
»Ich möchte genau wissen, was passiert ist«, erklärte ich.
»Bevor ich mit ihr spreche. Ich muß es wissen, damit ich mir überlegen kann, was ich ihr sage.«
Er brachte mir wieder die Times. Und die Daily Mail. Während er unser Frühstück machte, setzte ich mich an den Tisch und las die Artikel. An jenem ersten Morgen nach der Entdeckung von Kenneths Leiche wußte man kaum Einzelheiten zu berichten: den Namen des Opfers, den Namen des Hauses, in dem es gefunden worden war, den Namen des Hauseigentümers, den Namen des Milchmanns, der die Brandstätte entdeckt hatte, die Zeit der Entdeckung, die Namen der untersuchenden Polizeibeamten. Diesen Fakten folgte eine Biographie Kenneth Flemings. Und zum Schluß wurden die derzeitigen Theorien dargelegt, die noch auf Bestätigung durch den Obduktionsbefund und die nachfolgende Untersuchung warteten. Ich las diesen Schlußabschnitt immer wieder und verweilte im besonderen bei dem Wort »Brandspezialist« und der geschätzten Todeszeit. Ich las den Satz: »Nach Aussage des am Tatort anwesenden Arztes muß der Tod schätzungsweise zwischen dreißig und sechsunddreißig Stunden vor der Entdeckung der Leiche eingetreten sein«, und rechnete im Kopf nach. Das hieß, daß
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